7. März 2020: Klimaschutz soll zum EU-Gesetz werden
Das Kernstück des „Green Deal“ bildet das Klimaschutzgesetz, das bis 2050 Klimaneutralität vorsieht. Der Entwurf zu diesem Gesetz wurde am 4. März in Brüssel präsentiert. Millionenschwere Investitionen sollen den Wandel bis zu einer klimaneutralen Wirtschaft schaffen. Das bisherige EU-Klimaziel für 2030 sieht vor, die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Dies reicht aber nicht, um Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Die EU-Kommission will deshalb – auf Druck von Deutschland – bis September das 2030er Ziel überprüfen und gegebenenfalls Optionen vorschlagen, dieses auf 50 bis 55 Prozent zu erhöhen.
Umweltministerin Leonore Gewessler wurde gefragt, ob der „Green Deal“ nur ein Papier sein werde. Sie ist optimistisch. Die Menschen in Europa seien bereit für die Energiewende. Schließlich seien die Folgen des Klimawandels auch nicht mehr zu übersehen und zu leugnen. Sie ist überzeugt: „2020 ist ein entscheidendes Jahr für den Klimaschutz. Das Zeitfenster ist in gewisser Weise historisch.“ Die Mittel, die Erwärmung zu stoppen, seien vorhanden. „Wir können mit den Technologien, die wir jetzt schon haben, die Ziele ereichen.“ Wie der Weg dorthin aussehen wird, muss freilich erst ausgedealt werden. „In Österreich haben wir die Klimaneutralität bis 2040 im Regierungsprogramm festgelegt, damit wollen wir in der EU zum Klimaschutz-vorreiter werden.“
Das Klimaschutzgesetz soll das Ziel, wonach Europa 2050 als erster Kontinent klimaneutral wirtschaften soll, rechtsverbindlich machen. Und es verpflichtet alle 27 Staaten auf die entsprechenden CO2-Einsparungsziele. Erst damit wird der von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprochene Green Deal wirksam. Doch noch liegt nur ein Entwurf vor. Und EU-Parlament und EU-Regierungen müssen von der Leyens Entwurf erst zum Gesetz machen.
Antreiber und Bremser
Für Umweltverbände, Grüne und die Mehrheit im EU-Parlament ist der Entwurf nicht ausreichend. Teile der Wirtschaft, der Industrie und konservative Parteien betonen aber, dass der Entwurf zu viel fordert. Manchen EU-Staaten kann es nicht schnell genug gehen, andere wollen es langsam angehen. Was einigen Umweltorganisationen nicht schmeckt: Die Kommission will laut dem Entwurf ab 2030 alle fünf Jahre selbst entscheiden, ob sie die CO2-Einsparziele auf Grundlage „neuester wissenschaftlicher Befunde“ verschärft. Darauf haben die Mitgliedsstaaten kaum Einfluss.
Das Thema ist so heikel, dass die Kommission die Entscheidung bis September verschoben hat. Sie will, bevor sie sich festlegt, eine ausführliche Folgenabschätzung durchführen. Das wieder dauert zwölf Ländern entschieden zu lang. In einem Brief an den Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans fordern sie, das neue 2030er Einsparungsziel bereits bis Juni. Und zwar, damit die EU schon deutlich vor der nächsten EU-Klimakonferenz im November im schottischen Glasgow die Marschrichtung vorgeben kann. Den Appell unterzeichnet haben die Umweltminister von Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Lettland, Luxemburg, den Miederlanden, Portugal, Slowenien, Spanien, Schweden und Österreich.
Im Moment dreht sich die Debatte hauptsächlich um zwei Jahreszahlen: 2030 und 2050. Bis 2050 muss der Treibhausgasausstoß der EU demnach auf null sinken. Die EU-Staaten stehen kollektiv in der Pflicht. Auf dem Weg dorthin ist 2030 der erste Zwischenschritt. Die Frage ist, um wie viel die Treibhausgassemissionen bis dahin sinken müssen, damit das Endziel gehalten werden und die Erderwärmung nach dem Pariser Abkommen deutlich unter zwei Grad gehalten werden kann.
Bisherige Zielsetzung der Union für 2030 waren 40 Prozent Reduktion gegenüber 1990. Mittlerweile weiß man, dass das nicht reicht. Deshalb steht eine Reduktion um 50 oder sogar 55 Prozent binnen der nächsten zehn Jahre im Raum. Auch die würden verpflichtend festgeschrieben. Bis September wird die Kommission eine „Folgenabschätzig“ durchführen und ein neues Etappenziel für 2030 festlegen.
Wie ambitioniert dieses ausfällt, ist heftig umstritten. Umwelt- und Klimaschutz-organisationen sind 50 Prozent Reduktion zu wenig. Die deutsche Industrie warnt hingegen davor, Unternehmen zu überfordern. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Kommissionspräsidentin von der Leyen und ihr Vize Frans Timmermans.
Werden sich die 27 EU-Mitgliedsstaaten zum Green Deal bekennen?
Wird der Green Deal nur ein Papier sein? Oder wird es doch zur Umsetzung kommen in den 27 Mitgliedsstaaten? Zum Beispiel haben sich im Dezember nur 26 zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bekannt. Polen allerdings, dessen Energiebedarf zu 80 Prozent aus Kohle gedeckt wird, hat sich noch nicht deklariert. Im Windschatten Warschaus marschieren Bulgarien, Ungarn, die Slowakei und Kroatien. Portugal und Spanien sehen nicht ein, warum sie weniger Hilfe für den bereits eingeleiteten Umbau ihrer Wirtschaft bekommen sollen, nur weil die Kohlesüchtigen jahrzehntelang nichts getan haben – und nun das meiste Geld für sich lukrieren wollen. Und viele Staatschefs sind der Ansicht, dass Klimaschutz zwar wichtig sei, im Wesentlichen aber alle bleiben müsse, wie es ist.
Um die Fortschritte der Staaten beim Klimaschutz messen zu können, will die Kommission von 2030 bis 2050 einen EU-weiten Zielpfad festlegen. Alle fünf Jahre will sie dann messen, ob die Maßnahmen der EU und der Staaten im Einklang mit diesem Pfad stehen. Dazu will die Brüsseler Behörde die Befugnis, Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten, die vom Klimaweg abweichen, auszusprechen. Von Sanktionen gegen Klimasünder ist nicht die Rede. „Politischer Druck ist wahrscheinlich effizienter“, sagt Timmermans.
Das alles ist erst ein Vorschlag. Nun starten die Verhandlungen mit dem Rat und dem EU-Parlament, die zustimmen müssen. Dass es solche Verhandlungen überhaupt gibt, sei Grata Thunberg zu verdanken, meinte Timmermans. „Ohne die Bewegung, die sie eingeleitet hat, hätten wir keinen ‚Green Deal’ und würden heute nicht über ein Klimagesetz reden.“
Für Greta Thunberg geht der Entwurf für das Klimaschutzgesetz zu wenig weit
Medienwirksam hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für 4. März die Klimaaktivistin Greta Thunberg zur Unterzeichnung des Entwurfs des Klimaschutzgesetzes eingeladen. Doch die spielte zu ihrer Enttäuschung und zur Enttäuschung ihres Vize Frans Timmermans nicht mit. Alle noch so lobenswerten Worte aus Politikermund vermochten die 17-jährige Ikone der „Fridays for Future“-Bewegung nicht dazu zu verleiten, ihre Botschaft abzuschwächen. Diese lautet: „Es ist nicht genug, was ihr tut.“ Sie bezeichnete das Gesetz als „Kapitulation“. Das CO2-Budget reiche nur noch für acht Jahre. Man brauche keine Ziele für 2030 oder 2050, sondern für 2020 „und jeden Monat und jedes Jahr, das nun folgt“.
Die junge schwedische Aktivistin war am 5. März auch Gast bei der Ratssitzung der 27 Umweltminister in Brüssel. Sie diskutierte mit den Ministern und legte dort abermals ihren Standpunkt dar: Das Klimaschutzgesetz, das tags zuvor die EU-Kommission im Entwurf vorgelegt habe, sei nicht ausreichend, um den Klimawandel rechtzeitig zu begrenzen.
Greta demonstrierte dann auch noch für eine engagiertere europäische Klimapolitik. Dort traf die Schülerin auch mit Umweltministerin Leonore Gewessler von den Grünen zusammen. Die Ministerin verteidigte Thunberg gegen die zahlreichen Angriffe und betonte, dass es nicht zu unterschätzen sei, dass „sich die junge Generation zu Wort meldet und auch auf die Straße geht und um die Zukunft kämpft“.
Das größte Hindernis für engagierten Klimaschutz in der EU sind die Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten
Zwar gibt es keine Regierung, die nicht bis 2050 die Emissionen unterm Strich auf null senken will. Doch wenn es ans Handeln geht, sieht die Welt anders aus. Wünschen wir der Kommissionspräsidentin von der Leyen genug Durchsetzungsvermögen. Sie will die Klimaneutralität bis 2050 zum verpflichtenden Ziel machen und auch den Weg dorthin festlegen. Minus 40 Prozent Emissionen (im Vergleich zu 1990) binnen zehn Jahren – so lautet die derzeitige Vorgabe. Minus 50 bis 55 Prozent sollen es werden. Im September will die Kommission erklären, wie dies gelingen kann, und die genaue Zahl festlegen. Und von der Leyen fordert für ihre Kommission die Kompetenz, ab 2030 eine schärfere Gangart einzulegen – ohne viel zu fragen.
Das mag sehr theoretisch klingen. Und doch ist die Festlegung der Rahmenbedin-gungen, unter denen die Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten in der EU zu arbeiten hat, von immenser Bedeutung – für den Klimaschutz wie für die Unternehmen selbst. Nur wenn für alle Beteiligten unverrückbar ist, dass kein Weg zurück zu Kohle, Öl und Gas führt, dass deren Verbrennung immer teurer und daher unwirtschaftlicher wird, dass Investitionen in diesen Sektor zunehmend riskanter werden, ist mit dem notwendigen raschen Schwenk zu rechen.
Quellen:
Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“ vom 5., 6. und 7. März 2020
Tageszeitung „Kronen Zeitung“ vom 5., 6. und 7. März 2020
Ö1-Radiosendung „Mittagsjournal“ vom 5. März 2020