6. Juli 2015: Klage Österreichs gegen Hinkley Point heute eingebracht


Heute reichte Österreich die am 23. Juni beschossene offizielle Klage gegen die Subventionen für das britische Atomkraftwerk Hinkley Point beim Europäischen Gerichtshof EuGH ein.

 

Es geht um die staatliche Finanzierung des Baus und des Betriebs der zwei Atomreaktoren der britischen Anlage Hinkley Point C (C1 und C2). Von den bestehenden Reaktoranlagen A und B des im Südwesten Großbritanniens gelegenen Atomkraftwerks wurde die Anlage A (Reaktoren A1 und A2) bereits 2000 stillgelegt. Für die Anlage B (B1 und B2) ist der Betrieb bis 2023 geplant. Diese Anlage soll um Hinkley Point C erweitert werden.

 

Im März 2013 wurde in Großbritannien die 34 Milliarden Euro teure Erweiterung beschlossen. Gebaut werden soll die Anlage von den maroden französischen Staatskonzernen EDF und Areva, und zwar mit Unterstützung chinesischer Staatsfirmen. Künftiger Betreiber soll EDF (Electricité de France) sein. 2023 soll Hinkley Point ans Netz gehen. Das Projekt ist derart irrwitzig teuer und unrentabel, dass es sich nur rechnet, wenn es vom britischen Steuerzahler subventioniert wird. Großbritannien trägt mindestens 23 Milliarden Euro in Form von Bürgschaften und Strompreisen bei, die 35 Jahre lang fix garantiert sind (und weit über dem derzeitigen Marktpreis bei Strom liegen).

 

Das alles wäre einzig Sache Großbritanniens, gäbe es nicht die EU. Denn staatliche Beihilfen sind in der EU verboten – grundsätzlich, aber wie überall gibt es auch hier Ausnahmen, deren Vorliegen die EU-Kommission prüfen muss. Nun lässt es sich kaum verleugnen, dass die 23 Milliarden Euro eine staatliche Beihilfe sind. Um sie trotzdem durchzuwinken, waren beachtliche Verrenkungen nötig. Die Förderung diene der Entwicklung eines ganzen Wirtschaftszweigs, hieß es etwa. Zudem widerspreche die Förderung dem gemeinsamen Interesse an Handelsverbindungen nicht.

 

Umstrittene Entscheidung der EU-Kommission

 

Die EU-Kommission hatte sich im Herbst 2014 in einer umstrittenen Entscheidung mehrheitlich der Ansicht von EU-Kommissar Joaquin Almunia angeschlossen, dass die staatlichen Beihilfen für die Erweiterung des britischen AKW Hinkley Point als rechtskonform anzusehen sind. Diese Entscheidung der „alten“ Kommission war nicht nur im Kollegium der EU-Kommissare umstritten, sondern spaltete auch die EU, sowohl was die Länder als auch was die Zivilgesellschaft und die Unternehmen betrifft. Die Gegner gingen auf die Barrikaden, an vorderster Front Österreich.

  • Erstens können die EU-Staaten ihren Energiemix frei wählen und auch auf Atomkraft setzen.

  • Zweitens sind staatliche Beihilfen in der EU grundsätzlich verboten, wenn sie den Handel unter den Mitgliedsstaaten beeinträchtigen.


Das Urteil des EuGH wird richtungweisend sein. Am Fall Hinkley Point muss das Gericht grundlegende Fragen beantworten, um die sich die EU schon lange drückt. Zwei Parameter in dem Fall sind rechtlich klar:

 

Krieg der Argumente

 

Aber genau hier beginnt der Streitfall. Eine Subvention kann erlaubt werden, wenn sie im „allgemeinen Interesse“ liegt. Etwa um die „Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete“ zu fördern, wie es im Gesetz heißt. Großbritannien argumentiert aber, der Bau des AKW würde die Versorgungssicherheit verbessern, was zweifellos im europäischen Interesse liegt. Österreich hält dagegen, dass das auch mit anderen, kostengünstigeren Mitteln erreicht werden könnte.

 

Aus britischer Sicht liegt der Bau von Atomkraftwerken außerdem im europäischen Interesse, weil man sich ja auf gemeinsame Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen geeinigt hat. Atomkraft würde dazu einen Beitrag leisten. Österreich verwehrt sich wiederum auf EU-Ebene strikt dagegen, Atomkraft als saubere und nachhaltige Energiequelle zu bezeichnen. Die Gesamtbilanz für die Umwelt sei eindeutig negativ.

 

Das sind Argumente, die in der öffentlichen Debatte über Atomkraft zentral sind. Vor Gericht wird aber ein anderes im Fokus stehen, das Österreich für schlagend hält: Atomkraft ist eine ausgereifte Technologie. Sie ist seit Jahren verbreitet, aber offensichtlich noch immer nicht marktfähig, weil sie ohne Beihilfen nicht rentabel ist, argumentiert die Republik. Die dauerhafte Subventionierung einer solchen ausgereiften Technologie würde dem europäischen Beihilfenrecht grundsätzlich widersprechen. Außerdem ist es besser, die Energiezukunft auf erneuerbaren Energiequellen aufzubauen und diese zu fördern.

 

Dass der Bau von Hinkley Point ohne Beihilfen nicht möglich wäre, sieht auch die Kommission so. Ein Marktversagen ist sogar mit ein Grund, dass die Beihilfen überhaupt genehmigt werden konnten. In einen funktionierenden Markt dürfte die britische Regierung mit Beihilfen gar nicht eingreifen. Mit staatlichen Subventionen darf laut EU-Vertrag dennoch nur die „Entwicklung“ gewisser Wirtschaftszweige gefördert werden. Ob beim (Aus-)Bau eines Atomkraftwerkes noch von Entwicklung eines Wirtschaftszweiges gesprochen werden kann, dürfte eine entscheidende Frage vor Geicht sein. Auch wenn Atomkraft an sich keine neue Technologie ist, wird die britische Regierung wohl mit einer Innovation argumentieren: Beim AKW Hinkley Point werden zwei „Europäische Druckwasserreaktoren“ gebaut. Es wird „die bisher noch nirgendwo in der Welt eingesetzte EPR-Technologie“ genutzt, ließ Kommissar Almunia seinerzeit wissen.

 

Wie lang das Verfahren dauern wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, sicherlich aber länger als ein paar Monate.

 

Es ist erfreulich, dass Österreich es wagt, sich mit der Atomlobby anzulegen. Alle Parteien sind sich einig. Private wie die Ökostrom AG wollen auch klagen.

 

Ebenfalls klagen wird Luxemburg. Deutschland, auf europäischer Ebene ebenfalls entschiedener Atomkraftgegner, hat sich gegen eine Klage entschlossen. Im Bundestag hatten die Grünen wiederholt Druck auf die Regierung gemacht, sich den Klagen von Österreich und Luxemburg anzuschließen. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen verwies die Regierung aber auf die ausführliche Prüfung der EU-Kommission vor der Genehmigung der Beihilfen.

 

Das stärkste Anti-Atom-Argument, mit dem Österreich die EU-Partner (und auch den EuGH) beeindrucken könnte, wäre aber eine überzeugende Energie- und Klimapolitik, die vorzeigt, wie man nicht nur auf Atomkraft verzichtet, sondern auch bei den fossilen Energieträgern ohne Wohlstandsverlust zurückfährt. Aber da ist Österreich leider säumig. Österreich emittiert heute Treibhausgase im selben Ausmaß wie 1990, obwohl es sich in der Kyoto-Vereinbarung zu einer Reduktion um 13 Prozent verpflichtet hat. Ein Armutszeugnis! Es genügt eben nicht, bloß auf Atomkraft zu verzichten, aber ansonsten auf der Basis fossiler Energien ohne Reduktion weiterzumachen.

 

Man kann der österreichischen Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen, bei der Energie- und Klimapolitik leider nur mit wenig Tatkraft vorzugehen.