6. Februar 2015: Neoliberale Geldpolitik ist am Ende
EZB-Chef Mario Draghi will über die Banken Hunderte Milliarden Euro in die Realwirtschaft des Euro-Raumes pumpen, um Produktion und Konsum wieder zum Wachsen zu bringen und dadurch die Arbeitslosigkeit und die drohende Deflation zu bekämpfen. An sich eine gut gemeinte Maßnahme, aber die Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit müssen bezweifelt werden.
Die Ereignisse im Sektor Geldpolitik überschlagen sich. Am 4. September 2014 senkte Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), den Leitzins auf unglaubliche 0,05 %. Am 26. Oktober 2014 kündigte der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein Investitionsprogramm in der Höhe von 315 Milliarden Euro an. Am 15. Jänner 2015 hob die Schweizer Nationalbank den Euro-Mindestkurs auf, was einer deutlichen Franken-Aufwertung gleichkommt. Und am 22. Jänner 2015 fiel in der EZB der Beschluss, Wertpapiere (vor allem Staatsanleihen) bis zu einer Höhe von 1.140 Milliarden Euro von den Banken aufzukaufen (will heißen, dass z. T. Schulden der Euro-Staaten von der EZB übernommen werden) und dafür in diesem Ausmaß die Banken mit frisch gedrucktem Geld zu fluten, damit diese eher bereit sind, das Geld den Investoren und Konsumenten zu günstigen Konditionen zu borgen. Ab März 2015 bis September 2016 sollen pro Monat Wertpapiere im Wert von 60 Milliarden Euro gekauft werden.
Aber als Laie fragt man sich, was dann mit dieser Geldschwemme passiert, wenn die Betriebe und Konsumenten auf dieses Geld nicht zugreifen. Den privaten Konsum zum Wachsen zu bringen ist außerdem häufig mit noch höherer Privatverschuldung verbunden und mit weiterem Anheizen der Verschwendung. Wie ist dies damit vereinbar, dass weiteres unbegrenztes materielles Wirtschaftswachstum in den hochentwickelten Industriestaaten eigentlich bereits unmoralisch ist?
Die Meinungen der Experten gehen über diese gewagte EZB-Aktion auseinander
Die einen meinen, diese letzte Trumpfkarte hätte man später ausspielen können, denn derzeit solle man erst einmal abwarten, wie sich die Leitzinssenkung auswirkt. Außerdem liege der Wert der Anleihen mancher Staaten ohnehin nur mehr auf Ramschniveau.
Manche werfen der EZB vor, ihre Befugnisse zu überschreiten und es durch sinkende Kreditzinsen den Regierungen, vor allem in den südlichen Euro-Ländern, zu ermöglichen, sich wiederum günstiger zu verschulden. Kritiker wie Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, nennen den Kauf von Staatsanleihen sogar illegale Staatsfinanzierung.
Andere wenden ein, das Vertrauen sei zu gering, dass sich Betriebe und Konsumenten dieses Geld auch tatsächlich ausborgen und ausgeben. Der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck deutete in der Fernsehdiskussion „Im Zentrum“ vom 25. Jänner 2015 an, dass es theoretisch möglich wäre, dieses Geld zur Belebung der privaten Nachfrage direkt an die Bürger zu verschenken (1) (2). Ähnlich denkt auch der aus Österreich stammende britische Ökonom Engelbert Stockhammer, der an der Kingston University in London lehrt. (2)
Die Untätigkeit der Politiker gegenüber der Dominanz der so genannten Märkte
Eigentlich muss man froh sein, dass die EZB das Zepter des Handelns in die Hand nimmt – denn die Politiker zeichnen sich eher durch Ratlosigkeit und Untätigkeit aus.
„Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Da werden durch eine Finanzkrise, die durch schwerwiegende Fehleinschätzungen neoliberaler Wirtschaftstheoretiker sowie der mit ihnen kollaborierenden Politiker verursacht wurde, in Europa Millionen Menschen arbeitslos, verlieren ihre Wohnungen, wenn nicht ihre gesamten Zukunftsperspektiven.
Und was tut die europäische Politik daraufhin? Tut sie alles, um diese Entwicklungen zu stoppen? Besinnt sie sich nun ihrer eigenen Machtmittel? Produziert sie etwa durch internationale Abkommen neue Mechanismen, um solche Schäden in Zukunft zuvorzukommen und die bestehenden zu reparieren? Denkt sie vielleicht sogar einmal fantasievoll darüber nach, welche Möglichkeiten Politik besitzt, um sich nicht dauernd vor der ‚Nervosität der Märkte’ zu ängstigen, sondern umgekehrt einmal wieder ‚den Märkten’ (bzw. deren Profiteuren) ein bisschen Angst zu machen, sofern diese keine andere Sprache verstehen? – Nein! Nichts von alledem.“ (3)
Der Mut von Mario Draghi ist bewundernswert, aber…
Draghis Aktion ist – wie auch der Juncker-Plan – mit einer fundamentalen Schwäche behaftet: Diese Aktion ist Ausdruck eines herkömmlichen, neoliberalen Denkens und Handelns – weniger Staat, mehr privat, weniger Regulierung, mehr Markt.
Auf dieser Basis wird dem Staat, wenn er zu Geld kommen will, nur zugestanden, sich durch Sparen aus der Verschuldung herauszuarbeiten bzw. trotz enormer Schuldenlast sich weiter zu verschulden. Die „Gestaltung“ wird den privaten Investoren überlassen, die – was verständlich ist – in erster Linie das produzieren, womit sich Profit machen lässt, und nicht das, was im Sinne des Gemeinwohls und der Nachhaltigkeit notwendig ist. Und wenn doch, dann auch nur deshalb, um aus Gemeinwohldiensten Gewinn generieren zu können und so diese Dienste zu verteuern.
Neoliberale Ökonomen begrüßen es, wenn der private Konsum weiter wächst – obwohl in Ländern wie Österreich unbegrenztes materielles Wachstum bereits problematisch ist und der Konsum vielerorts schon in Verschwendung ausartet. Neoliberale Fundamentalisten verurteilen die stärkere Besteuerung großer Einkommen und Vermögen, obwohl offensichtlich ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht.
In dieses neoliberale System ergießt sich Draghis Geldflut. Die Frage, warum dieses Geld nur die Banken erhalten, wird nicht gestellt.
Natürlich wäre es inflationär, solche Summen an die Bevölkerung zu verteilen. Dieses Geld den politischen Parteien zu überlassen wäre ebenso abzulehnen, denn sie würden es für Wahlzuckerl verwenden, ihre Klientelen bedienen oder ihren Hobbys frönen (z. B. Straßenbau statt Wohnbauförderung).
Aber dass trotz Wirtschaftskrise nur über die Banken Geld in Umlauf gebracht werden kann, das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein! Denn wenn einerseits ein Heer von Menschen auf Arbeitssuche ist (in Österreich derzeit fast 500.000 Arbeitslose), andererseits im öffentlichen Bausektor enorm viel Arbeit auf Erledigung wartet, aber diese Arbeit nicht erledigt werden kann, weil die öffentliche Hand total verschuldet ist und sparen muss bzw. nur über Banken oder durch höhere Besteuerung der Bevölkerung (wodurch die Krise nur noch verschärft würde) zu Geld kommen kann, dann stimmt doch etwas nicht!
Es muss auch andere geldpolitische Möglichkeiten geben, um der öffentliche Hand zu Geld verhelfen zu können und dafür zu sorgen, dass dieses Geld gezielt für Essentielles – z. B. für den Aufbau ökologischer Strukturen – verwendet wird. Gerade im Baugewerbe würden durch jeden neuen Arbeitsplatz zwei weitere in benachbarten Sektoren entstehen. Die gesamte Wirtschaft und auch der Fiskus würden profitieren.
Aber nein! Der öffentliche Sektor muss darben. In den Privatsektor wird hingegen das EZB-Geld förmlich hineingepresst und ohne spezifische Zielsetzungen den Banken bzw. dem Markt überlassen, obwohl längst bekannt ist, dass der Markt viele Probleme nicht lösen kann. Der Privatsektor soll – laut Draghi und neoliberaler Geldpolitik – auf dieses Geld zugreifen, obwohl sich der Privatkonsum bei einem Teil der Bevölkerung vor der Krise auf Sättigungsniveau befand und sogar Produkt-Kurzlebigkeit und Wegwerfmentalität um sich gegriffen hatten. Soll sich der Privatkonsum dieses Bevölkerungsteiles nun wieder in Richtung Verschwendung bewegen? Und soll sich der „untere“ Teil der Bevölkerung damit abfinden, dass aller Voraussicht nach bei ihm von dieser Geldschwemme nichts ankommen wird und im Gegenteil das sozialpolitische Downsizing fortgesetzt wird?
Wo sind die Visionen für eine andere Geld- und Finanzpolitik?
Wo sind die Pläne, die im Bausektor konsequente öffentliche Investitionen in zukunftsträchtige soziale und ökologische Projekte vorsehen?
Wo sind die Ideen, wie sich in der derzeitigen sehr ernsten Wirtschaftskrise das Gemeinwesen Staat…
-
Geld borgen kann, ohne Zinsen zahlen zu müssen –
-
oder sich sogar Geld durch Geldschöpfung verschaffen kann (Geld, das nicht zurückgezahlt werden muss – also ohne sich neuerdings verschulden zu müssen)
-
um endlich im Sinne der Krisenbekämpfung und entsprechend dem enormen Nachholbedarf bei Teilen der Infrastruktur selektiv in genau definierte öffentliche Nachhaltigkeits-Bauprojekte investieren zu können (Bahnsektor, öffentlicher Verkehr, erneuerbare Energie, Stromspeicheranlagen, Energieeffizienz, wärmetechnische Optimierung öffentlicher Gebäude etc.) und so zugleich die Wirtschaft in einem wichtigen Segment zu beleben und dem Problem der Arbeitslosigkeit wirksam begegnen zu können?
Zum Thema Sparen
Aus der Geschichte wissen wir, dass in den 1930er Jahren gerade die Sparpolitik und die verbissene Inflationsbekämpfung eine Ursache für den eklatanten Geldmangel war, der in Deutschland zum wirtschaftlichen Niedergang und zur Massenarbeitslosigkeit geführt hat.
Die rigorose Sparpolitik der deutsche Regierung Brüning verschärfte in der Endphase der Weimarer Republik die Wirtschaftskrise. Kanzler Brüning führte den Staatshaushalt auch in der stärksten Krise wie ein „ordentlicher Hausvater“. Dass er daneben auch mit richtiger Finanzpolitik und staatlichen Investitionen die Wirtschaft steuern muss, sahen mit ihm die meisten Zeitgenossen nicht ein. Geldschöpfung (Geldscheine drucken) wurde von ihm wie von den meisten Experten wie eine Gotteslästerung verurteilt. Mit seiner einseitig auf einen ausgeglichenen Staatshaushalt zielenden Deflationspolitik verursachte er Massenarbeitslosigkeit.
Anfang 1932 war jeder Dritte arbeitslos. Die Nazis hatten in dieser Situation ein leichtes Spiel.
Ein ähnlich harter Sparkurs wurde in den 1930er Jahren auch in Österreich gefahren – mit denselben Folgen, nämlich Massenarbeitslosigkeit und Faschismus.
Wir müssen endlich aus der Geschichte die richtigen Lehren ziehen: Der Staat darf sich nicht nur – wie wir Private es müssen – auf die Sanierung des Haushaltes konzentrieren, sondern er muss auch Wirtschaftspolitik betreiben.
Das heißt, bei Ausbruch einer Krise muss mit einem Konjunkturprogramm verhindert werden, dass die gesamte Realwirtschaft und die Bevölkerung in eine Negativspirale hineingerät. Falls zur Zeit der Hochkonjunktur keine Reserven angelegt wurden (wie es seinerzeit J. M. Keynes gefordert hatte), muss sich der Staat für ein solches Konjunkturprogramm verschulden. Das taten die europäischen Staaten in korrekter Weise, reagierten aber auf diese Situation mit Sparpaketen und „bestraften“ damit indirekt die gesamte Bevölkerung und die Wirtschaft, statt nur die Verursacher der Krise zur Verantwortung zu ziehen und die belasteten öffentlichen Haushalte durch Geldbeschaffung rasch zu reparieren bzw. zu retten.
Rasche Geldbeschaffung wäre z. B. möglich gewesen, indem man Teile des Finanzsektors (Finanztransaktionen etc.) und große Vermögen besteuert bzw. in diesen Bereichen bestehende Steuern erhöht. Erst nach der Reparatur bzw. Rettung der öffentlichen Haushalte (und damit der Wiederherstellung der Gestaltungskompetenz der Politik) hätte man zur zähen Arbeit der Geldbeschaffung durch Verwaltungsreform übergehen können. Und man hätte ohne massiven Zeitdruck mit den langwierigen Verhandlungen zur Zähmung der Finanzmärkte beginnen können und den schwierigen Kampf gegen die Steuerhinterziehung in Angriff nehmen können.
Daneben hätte man sich im Sinne der raschen Geldbeschaffung auch mit innovativen Ideen auseinandersetzen müssen und alternative bzw. komplementäre Methoden-Vorschläge nicht von vornherein als ungeeignet abtun dürfen.
So gibt es zum Beispiel den Vorschlag, dass angesichts der gegenwärtigen massiven Wirtschaftskrise eine von politischen Parteien unabhängige „Monetative“ als vierte, demokratisch legitimierte Staatsgewalt die öffentliche Hand mit nicht rückzahlbarem Geld versorgen könnte, und zwar für Investitionen in öffentliche Bauprojekte. Dies als Anstoß, um die private Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Im öffentlichen Sektor wartet nämlich ohnehin eine große Menge an Bauprojekten, die umgesetzt werden müssten.
„Staatsfinanzierung!“, schreien die ökonomischen Eliten. „Inflationär!“ Eine Gotteslästerung. Missachtung eines Dogmas. Aber die Begleiterscheinungen der Wirtschaftskrise sind auch inflationär! Übrigens droht uns eher eine Deflation.
Mit Geldmangel in den öffentlichen Haushalten die gesamte Wirtschaft zu lähmen ist doch entsetzlich unvernünftig und weit weg von visionär. Auch Mario Draghi muss umlernen. Es hilft nichts, dem Pferd (Privatwirtschaft) jede Menge Heu zu Füßen zu legen, wenn es nicht frisst.
Geld ist wie der Blutkreislauf in unserem Körper und wie ein Schmiermittel für die Wirtschaft. Eine fortdauernde Hungerkur der öffentlichen Hand schadet der gesamten Wirtschaft. Der Abbau der öffentlichen Verschwendungssucht (öffentliche Verwaltung…) und das Eindämmen des Verteilens von Gefälligkeiten der politischen Parteien ist eine Sache, die in Zeiten der Hochkonjunktur erledigt werden muss. Sie passt absolut nicht in die Krisenzeit!
Zum Thema Verschuldung
Sich neuerdings bei den Geldverleihern zu verschulden ist genau so unvernünftig wie das Sich-zu-Tode-Sparen. Visionen? Unsere gewählten Politiker haben nicht Zeit für Visionen. Sie finden nichts daran, selbst in der Wirtschaftskrise sich bei den Reichen zu verschulden, um die Schäden einer Hochwasserkatastrophe zu beheben. Sogar an Katastrophen (der Klimawandel wird uns noch das Fürchten lehren) verdienen die Geldverleiher, ohne einen Finger zu rühren. Ist das nicht verrückt? Wer hat uns so dumm gemacht?
Es ist höchste Zeit, sich über eine neue Geldpolitik Gedanken zu machen, um auch in der Wirtschaftskrise beweglich sein zu können und gestalten zu können, ohne von den Banken abhängig zu sein.
Auch bezüglich Steuerpolitik ist unverständlich, warum die Vermögenden und Großverdiener so verbissen geschützt werden. Folgende Sätze stammen aus der Zeitschrift „sol“: „Staaten schulden reichen Privatpersonen (und deren Firmen, Fonds, Banken etc.) weltweit Billionen. Das führt zu Krisen, Sozialabbau und Verarmung. Wir haben uns offenbar jahrzehntelang das Geld für die staatlichen Aufgaben von den Reichen nur geborgt statt durch Steuern geholt.“ (4)
Wir sind offensichtlich – völlig legal – unterwegs in Richtung Renaissance einer neuen Art von Feudalismus. Jene, die Alternativen zur gegenwärtigen Geld- und Finanzpolitik suchen und Vorschläge machen, werden von den Eliten verlacht. Wie kann man sich für PPP-Modelle begeistern, wenn man doch weiß, dass diese Modelle arbeitslose Bereicherung der ohnehin Reichen bedeuten?
Zum Thema Wirtschaftswachstum
Uns muss klar sein, dass wir den Zenit erreicht haben, denn bereits unser derzeitiger stofflicher und energetischer Umsatz ist weder welt- noch enkeltauglich. Statt Wachstum darf es in Zukunft nur mehr Stabilität oder – anders gesagt – eine stationäre Wirtschaft geben. Der Übergang zu dieser Wirtschaft wird eine enorme Herausforderung sein, besonders auch bezüglich Verteilungspolitik.
Es ist Zeit für die EU, die Signale aus Griechenland zu verstehen
„Als Griechenland 2009 vor dem Bankrott stand, hat die EU geholfen. Zuerst zögerlich, dann aber doch mit zwei Hilfspaketen. Das Geld, das bereitgestellt wurde, diente hauptsächlich der Umschuldung. Das heißt, die fälligen Forderungen privater Gläubiger wurden zurückgezahlt und durch Hilfskredite ersetzt. Im Gegenzug wurden Griechenland rigide Sparmaßnahmen und Reformen auferlegt, ‚die wehtun’, wie Angela Merkel sagte.
Fünf Jahre später ist nicht nur der Staat, sondern auch die Bevölkerung bankrott. Die Arbeitslosigkeit beträgt heute 27 Prozent, bei den Jugendlichen sind es 60 Prozent. Mehr als 800.000 Menschen bekommen weder Arbeitslosenunterstützung (322 Euro) noch haben sie eine Krankenversicherung; Sozialhilfe gibt es nicht. Die Haushaltseinkommen sind um 38 Prozent gesunken, 20 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Die Selbstmordrate ist um 25 Prozent gestiegen, die Kindersterblichkeit um 50. Hunderttausende kleine Unternehmen sind bankrott gegangen. Die Staatsschulden stiegen trotz rigiden Sparkurses von 120 Prozent 2009 auf derzeit 175 Prozent. Auch das ist eine Folge der durch den Sparkurs ausgelösten Rezession, die die Wirtschaftleistung um 25 Prozent schrumpfen ließ. Wie kam es dazu? Ein unrealistisches Konzept traf auf schwache politische Strukturen.“ (5)
Mitverursacher dieser Tristesse ist die falsche Geldpolitik in der EU und der massive Einfluss der Geldeliten. Letzterer zeigt sich auch an maßgeblichen Persönlichkeiten der EU: Sowohl Mario Draghi als auch Mario Monti, bis vor kurzem italienischer Regierungschef, standen in einem Nahverhältnis zu Goldman Sachs, einem weltweit agierenden Investmentbanking-Unternehmen mit Sitz in New York City, das im Zuge der Finanzkrise 2007 in die Schlagzeileilen geraten ist.
Kritiker sprechen daher von der „Goldman-Sachs-Regierung“ Europas und von der Macht-Kette Fed – City of London – IWF – WTO und Spezialabkommen (wie den OECD-Code of Liberalisation of Capital Movement oder den diversen Investitionsschutzabkommen). Diese Kritiker verurteilen die Praxis, dass sogar Medien von diesen Netzwerken der Macht dirigiert werden. (6)
Goldman Sachs war im Spiel, als sich Griechenland in den Euro-Raum schummelte. Dem ehemaligen griechischen Ministerpräsident Lukas Papademos, der als vormaliger Gouverneur der griechischen Notenbank beim Übergang von der Drachme zum Euro maßgeblich mitgewirkt hat, wird vorgeworfen, er hätte als Experte (ehemaliger Professor an der Columbia University und leitender Volkswirt bei der Federal Reserve Bank Boston) die öffentliche Handelsbilanz Griechenlands richtig einschätzen müssen und die Machenschaften von Goldman Sachs zur Erschleichung der Mitgliedschaft Griechenlands in der Eurozone durchschauen müssen. Der Verantwortliche für die Verwaltung der griechischen Staatsschuld, Petros Christodoulos, ist Ex-Trader von Goldman Sachs. (6)
Zugegeben: In Griechenland herrschen Zustände – wie z. B. chaotische Verwaltung – die für uns unverständlich sind. Aber dass man den Griechen Sparpakete aufoktroyiert, die nicht erfüllbar sind und unweigerlich zum wirtschaftlichen Niedergang führen, das ist ebenso unverständlich. Gehört doch Griechenland zu jenen EU-Staaten, in denen Nachholbedarf herrscht und daher Wachstum wünschenswert wäre.
Die Architekten des Euro, an führender Stelle der ehemalige deutsche Finanzminister Theo Waigel, haben darauf vergessen, ein Ventil einzubauen, um Ungleichgewichte zwischen Euro-Staaten ausgleichen zu können. Die Folgen sind fatal, vor allem für Griechenlands Bevölkerung.
Schade ist, dass es gerade Deutschland ist, das gegenüber Griechenland extreme Strenge zeigte, obwohl es eigentlich Griechenland zu Dank verpflichtet wäre. Denn auf Antrag Griechenlands beschlossen die Staaten im Jahr 1953 in einer internationalen Konferenz in London einen Schuldenerlass für Deutschland.
Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen
Klar ist, dass Griechenland weder seine Schulden ordnungsgemäß bedienen noch Maßnahmen zur Konjunkturerholung setzen kann. Klar ist aber ebenso, dass die EU aus formalen Gründen und auch wegen der Nachahmungsgefahr (Italien, Spanien…) einem weitern Schuldenerlass nicht zustimmen kann.
Hilfe ist noch immer die billigste Lösung für alle. Man hat noch Spielraum bei Zinsen und Laufzeiten der Hilfskredite und erst recht bei den Forderungen der privaten Gläubiger. Vorgezogene Strukturhilfen für Griechenland, mit denen man notwendige Infrastrukturinvestitionen finanziert und als Gegenleistung rasche Reformen in Verwaltung und bei oligopolitischen Wirtschaftsstrukturen verlangt, könnte ein Weg sein. (5)
Das Wahlergebnis in Griechenland vom 25. Jänner 2015 darf nicht ignoriert werden. Es ist ein Ruf nach sozialer Gerechtigkeit. Es ist aber auch eine Mahnung an die EU, vor allem an Deutschland, dass man mit der bisherigen Geldpolitik den Bogen überspannt hat und sich eingestehen muss, dass der Zwang, die Krise nur mit rigorosem Sparen zu bekämpfen, zur Stagnation der Wirtschaft geführt hat und bei Fortsetzung in der Katastrophe enden würde. Die neue griechische Regierung muss sich aber auch bewegen und sich von ihrer Wahlkampfrhetorik verabschieden.
Quellen:
(1) Fernsehdiskussion „Im Zentrum“, ORF 2, 25. Jänner 2015, 22.00 Uhr
(2) Gratis-Tageszeitung „Österreich“ vom 28. Jänner 2015, Seite 6
(3) Robert Pfaller, „Im Großen fahrlässig, im Kleinen penetrant“. In: Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“ vom 30. Dezember 2014
(4) „sol magazin“, Zeitschrift für Solidarität, Ökologie und Lebensstil, Nr. 3 ,Herbst 2013, Seite 7
(5) Marianne Kager, „Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen“. In: Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“ vom 4. Februar 2015
(6) Heinrich Wohlmeyer, „Empörung in Europa. Wege aus der Krise“, Wien 2012, Vlg. Ibera
Zum obigen Text ein passender Link: http://ksi.jimdo.com/aktuell/news/geld/
Für den Inhalt verantwortlich: Heinrich Höbarth