5. Mai 2018: Vor 200 Jahren wurde Karl Marx geboren
Karl Marx wird diesseits und jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs wieder begeistert gelesen. 40.000 Besucher zählt das Marx-Haus in Trier pro Jahr, ein Viertel aus China.
Mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und dem Zerfall Jugoslawiens und der Sowjetunion ab 1991 schien nicht nur der Kalte Krieg, sondern auch die Ära des Kommunismus samt Staatsterror in Europa beendet zu sein. Es hatte den Anschein, als würden Marx und Engels und ihre Mitstreiter und Nachfahren in der Mottenkiste der Geschichte versinken oder dort nur der kritischen Aufarbeitung harren.
2007 erschütterte eine Finanzkrise Europa, die ihren Ursprung in der amerikanischen Immobilienkrise hatte und sich zu einer globalen Bankenkrise ausweitete. Man suchte Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Politik und Finanzmärkten, nach der Herrschaft von Globalisierung und Kapitalismus und nach der weiteren Entwicklung Europas.
In Zeiten großer Unruhe und Orientierungslosigkeit ist es nicht ungewöhnlich, dass Menschen sich auf ihre Geschichte besinnen, auf vergangene Ideologien und auf die Vorväter, die die Zeitläufe mitbestimmten. So gehören etwa die Werke von Karl Marx heutzutage wieder zu den Bestsellern. In ganz Europa sind zudem mehr oder minder starke nationalistische Töne zu vernehmen und in den Ländern des ehemaligen Ostblocks sowie in den Balkanstaaten brechen alte Sehnsüchte auf.
Klar ist, dass der Kommunismus als Staatssozialismus mit all seinen Auswüchsen (Lenin, Mao, Stalin) gescheitert ist. Ebenso klar ist aber auch, dass es seit 1989 und 1991 nur mehr in Richtung Kapitalismus und Neoliberalismus zu gehen scheint. Deshalb sind seit Anfang des 21. Jahrhunderts bei jungen Leuten nostalgische Bezugnahmen auf den Staatssozialismus wieder en vogue. Es werden Bewegungen propagiert, die unter den Bedingungen einer globalisierten Welt sich für neue Formen der Gemeinschaft, der Zusammenarbeit und der Genossenschaft einsetzen. Das Unbehagen an der Gegenwart kompensieren aber leider manche Bewegungen und Staaten auch auf die Weise, dass sie in den Nationalismus zurückfallen.
Dass Marx diesseits und jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs wieder begeistert gelesen wird, hängt auch damit zusammen, dass er die damaligen Auswüchse des Kapitalismus schonungslos aufzeigt – und damit sehr aktuell ist.
„Wenn die Beschäftigung mit Marx und mit dem Kommunismus einen Sinn hat, dann den, dass wir uns fragen können, wie weit wir unser Leben der wirtschaftlichen Effizienz unterordnen möchten und ob es nicht Zeit wäre, etwas gegen die Unterordnung zu tun“, sagt Dieter Segeret, Politikwissenschafter und Fachmann für Transformationsprozesse in Mittel-, Ost- und Südeuropa. (1)
Für Rainer Gries, Professor an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien, bietet die Auseinandersetzung mit der Nostalgie ebenfalls die Chance, einen anderen Blick auf die Ökonomie zu werfen: „Es geht nicht darum, den Kommunismus wiederzuerrichten, sondern Alternativen für gemeischaftliches Handeln heute und morgen zu diskutieren, mehr im Sinne eines Commonismus.“ (1) In vielen Ländern Europas probieren junge Menschen mittlerweile alternative Arten des Wirtschaftens aus.
Jenen, die meinen, allein der Kapitalismus und der technische Fortschritt hätten den Menschen Sicherheit und Wohlstand gebracht, muss ins Stammbuch geschrieben werden, dass die Masse der Arbeiter sich viele Rechte und Anteile am Bruttonationalprodukt selber erkämpfen musste, zum Teil mit Blut. Das Ergebnis ist die soziale Marktwirtschaft – die allerdings nicht etwas Statisches ist, sondern sich in einem ständigen Ringen zwischen dem Kapitalismus, dem Neoliberalismus und der freien Marktwirtschaft einerseits und den sozialistischen Ideen andererseits weiterentwickeln muss.
Dazu kommt, dass auch der ökologischen Komponente zum Durchbruch verholfen werden muss. „Denn der Mensch und die noch so wichtigen sozialen Gebilde haben nur Zukunft, wenn auch die außermenschliche Schöpfung Zukunft hat.“ (2) Deshalb stehen Ökologie und Klimaschutz über der Ökonomie.
Außerdem muss es zu einer Überwindung der „imperialen Lebensweise“ des globalen Nordens kommen. Es gibt genug Studien, die belegen, dass die Industriestaaten ihre umwelt- und klimaschädlichen Produktionsweisen und die soziale Ausbeutung in ärmere Länder auslagern, um ihre verschwenderischen Konsummuster aufrechterhalten zu können und zugleich zu verhindern, dass die ärmeren Länder im gleichen Ausmaß auf Ressourcen zugreifen können. (3) „Im Moment sitzen wir noch fest im Sattel, aber das Pferd unter uns kommt zu Tode“, wenn wir so weitermachen (4).
Wir müssen weg vom totalen, mörderischen Wettbewerb und Wachstumswahn und hin zu mehr Kooperation. Wir müssen zu einem globalen Ausgleich kommen, so dass wir auch den Märkten in Asien und Afrika die Chance zum Aufholen geben (4) – mit Hilfe eines „globalen Marshallplans“ (5).
Nur so können bei uns Wohlstand und Sicherheit für die breiten Massen und für unsere künftigen Generationen garantiert werden und zugleich Entwicklungen in Richtung globaler Gerechtigkeit vorangetrieben werden.
(1) Salzburger Nachrichten vom 18. November 2017
(2) Dolores M. Bauer, Günter Virt, „Für ein Lebensrecht der Schöpfung, Analysen, Visionen und Strategien zur Bewältigung der Umweltkrise, Otto Müller Verlag, Salzburg 1987
(3) Christiane Maringer, „Zwei Seiten einer Medaille“, in: „Die Arbeit“, Magazin des GLB, 2/12
(4) Oliver Tanzer und Thomas Sedlacek, „Lilit und die Dämonen des Kapitals“, Buchbesprechung in der Ö1-Radiosendung „Kontext – Sachbücher und Themen“ vom 25. September 2015
(5) Für einen weltweiten Marshallpan setzt sich die Global Marshall Plan Initiative ein. Sie versteht sich als integrative Plattform für eine Welt in Balance, d. h. für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft