29. November 2014: Warum bezweifelt jeder zweite Amerikaner den Klimawandel?

 

In den USA arbeiten schon seit Jahrzehnten skrupellose Lobbyisten im Dienste der Industrie daran, seriöse Wissenschafter zu diffamieren und anerkannte wissenschaftliche Tatsachen in Zweifel zu ziehen. Es handelt sich um eine kleine Gruppe von Meistern der Manipulation, der Machttechnik und der Meinungsmache.


Es sind vor allem konservative amerikanische Denkfabriken (Think Tanks), die z. B. die Auswirkungen von Asbest, des Rauchens, des sauren Regens und die Existenz des Ozonlochs in Frage stellen. Dasselbe machen sie seit den 1990er Jahren auch in Bezug auf den Klimawandel. Besonders taten sich dabei die beiden Forscher Frederick Seitz und Edward Teller („Vater der Wasserstoffbombe“) hervor.

 

Motive dieser Verunsicherer:

 

Zunächst war es ihre antikommunistische Einstellung, die sie zusammenschweißte. Diese Forscher verstanden sich als Kämpfer des Kalten Krieges, die schon während des Zweiten Weltkrieges im amerikanischen Waffen- und Raketenprogramm tätig waren. Sie glaubten, mit Wissenschaft und Technik die freie Welt vor dem Kommunismus zu verteidigen. Ihre Lobby-Arbeit für die Industrie sahen sie nicht als Verrat an der Wissenschaft, sondern als Verteidigung der Werte der freien Welt.

 

Gegen Ende des Kalten Krieges wurde in den 1980er Jahren ein neuer Feind ausgemacht: die Umweltbewegung. Sie sahen in der Umweltbewegung eine getarnte neue Form des Kommunismus. Sie glaubten, dass staatliche Regulierungen zum Kommunismus (die Amerikaner nennen ihn Sozialismus) führen würden. Heute sind es vor allem ideologisch geprägte konservative Think Tanks, die von der Industrie-Lobby finanziert werden und den Klimawandel anfechten.

 

Methoden der Verunsicherer:

 

Sie beeinflussen die Stimmung im Land, indem sie anerkannte Wissenschaftskollegen diskreditieren, Desinformationen streuen und die Medien manipulieren. In Talk-Shows, in denen es um Klimaschutz geht, setzen sie PR-erprobte Klimaschutzgegner ein, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaerwärmung bestreiten und so Verwirrung stiften. Sie produzieren Berichte, die wie wissenschaftliche Arbeiten aussehen, es aber nicht sind, weil sie nicht auf wissenschaftlicher Forschung basieren. Sie haben Mitarbeiter, die diese Berichte direkt auf die Schreibtische der Regierungsbeamten legen. Sie senden ihnen Kopien per Mail, schreiben Briefe, in denen die Berichte angekündigt werden. Sie stellen sicher, dass Kongressabgeordnete, Senatoren und Vertreter auf lokaler und staatlicher Ebene diese Berichte bekommen.

 

Verantwortungslose Industrie-Lobby:

 

Klimaschutz ist für die Industrie eine große Herausforderung und mit finanziellen Einbußen verbunden. Dieses Geld zu sparen gelingt der Industrie, wenn in der Bevölkerung und bei den politischen Entscheidungsträgern Zweifel an der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung bestehen. Um unliebsame Forschungsergebnisse in Verruf zu bringen, schrecken die Industrie-Lobby und ihre Handlanger auch nicht vor Hetzkampagnen gegen weltweit anerkannte Wissenschafter zurück.

 

Die fatalen Folgen:

 

In den USA gilt in weiten Kreisen der Klimawandel als nicht erwiesen. Eine beträchtliche Anzahl von Amerikanern glaubt, dass sich die Wissenschaft unsicher ist. Viele meinen daher, dass es dumm wäre, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Die USA sind deshalb das einzige Industrieland, das das als Kyoto-Protokoll bekannte Klimaschutzabkommen von 1997 nicht unterzeichnet hat.

 

Es ist erstaunlich, wie es einer kleinen Gruppe von Lobbyisten gelingen kann, die öffentliche Meinung dermaßen zu beeinflussen und Politiker auf ihre Seite zu ziehen.

 

Das Traurige ist, dass sehr viel Zeit verloren gegangen ist, die für aktiven Klimaschutz hätte genützt werden können. Wissenschafter haben schon in den 1980er Jahren die Gefahren des Klimawandels erkannt und die Menschheit gewarnt. Damals wurde der Bericht des Weltklimarates veröffentlicht, der 1992 zur Klimarahmenkonvention der UNO geführt hat.

 

Die Hälfte der CO2-Emissionen ist seit 1992 passiert. Wenn man etwas nicht weiß, trägt man keine Verantwortung. Aber wir haben es gewusst!   

 

 

 

Quelle: Ö1-Sendung des ORF „Kontext – Sachbücher und Themen“ vom 28. November 2014, in der das Buch „Die Macchiavellis der Wissenschaft“ von Naomi Oreskes und Erik M. Conway, die über das Netzwerk des Leugnens schreiben, besprochen wurde (Ursprünglich in Englisch mit dem Titel „Merchants of Doubt“ (Händler des Zweifels), 2010), Wiley CH Verlag.