21. September 2015: Tricksen, leugnen, schummeln – der VW-Skandal
Am vergangenen Wochenende wurde in den USA der Skandal aufgedeckt, dass der VW-Konzern bei seinen Diesel-PKW falsche Abgaswerte vorgetäuscht hat. Der weltgrößte Autobauer, zu dem auch Marken wie Audi und Porsche zählen, hat eine Software entwickelt, mit der die Autos die Abgasvorgaben zwar bei Tests erfüllten, nicht jedoch im normalen Betrieb.
Umweltverbände in Europa haben immer schon kritisiert, dass die versprochenen Abgas- und Verbrauchswerte der Autohersteller im Straßenverkehr niemals eingehalten werden können. Bisher beschränkten sich die Vorwürfe jedoch darauf, dass die Angaben nur für unrealistische Laborbedingungen gelten. Aber eine bewusste Irreführung durch eine eigens entwickelte Software, das ist wahrlich eine neue Dimension!
Die Dominanz der Autolobby
Im Mobilitätssektor regiert in Deutschland eigentlich die Autoindustrie und nicht die
Bundesregierung. Seit Jahrzehnten gehört die Abwehr von schärferen Grenzwerten bei den Schadstoff- und Klimagasemissionen zu den Strategien der Automobilkonzerne, allen voran VW. Willfährig haben
Politiker wie Kanzlerin Merkel und Sigmar Gabriel bessere Luftreinhaltestandards vor allem auf europäischer Ebene verhindert. So hat das Ex-Aufsichtsrats-Mitglied als Umweltminister alles getan,
um schärfere Grenzwerte für Klimagase und Luftschadstoffe zu verhindern. So hielt Sigmar Gabriel es im Jahr 2008 anlässlich des Streits mit der EU um künftige Abgasvorschriften "für völlig
absurd", dass so getan werde, als ob das Weltklima davon abhänge, ob die Regelung drei Jahre früher oder später zu 100% komme.
Als Wirtschaftsminister hat Sigmar Gabriel 2014 erneut die Automobilkonzerne vor schärferen Grenzwerten „geschützt“. Auch Kanzlerin Merkel hat sich immer dafür eingesetzt, den Ausstoß
gesundheitsgefährdender Luftschadstoffe und die Emission von Klimagasen in der EU weiter auf hohem Niveau zu belassen. Am Europatag des Industrieverbands BDI im Jahr 2007 sagte Merkel, sie werde
"mit aller Kraft, die ich habe" gegen die zuvor angekündigten strengen Vorgaben der EU anlaufen.
Verhinderung des Null-Emissions-Autos
Die weltweite Automobilindustrie (außer Tesla) hat die jahrzehntelangen Aufforderungen zur
Entwicklung von Null-Emissions-Autos erfolgreich torpediert. So wurde das erste Markteinführungsgesetz für Null-Emissions-Autos, der Clean Air Act, 1990 in Kalifornien einige Jahre später durch
gezielten Lobbyismus, vor allem von General Motors, wieder abgeschafft. Damit wurde die erste Entwicklung von Elektromobilen jäh beendet. Die aktuelle Automobilausstellung in Frankfurt, wo
Null-Emissions-Autos nur als Marketing-Gag aber nicht großflächig auftauchen, ist eine Demonstration der jahrzehntelangen Untätigkeit und Missachtung der Autokonzerne wie VW mit Blick auf die
Einführung von Klimaschutzmaßnahmen.
Auch heute im Fall VW sind die Sprachlosigkeit von Gabriel und Merkel bezeichnend. Sie fordern gerade mal die Aufklärung des Skandals aber immer noch keine Null-Emissions-Autos, um endlich
Gesundheits- und Klimaschutz zu verwirklichen. Beim Rücktritt von VW-Chef Winterkorn, mit dem Hinweis einen personellen Neuanfang zu ermöglichen, sind größte Zweifel angebracht. Bedenken bleiben,
ob der neue Chef von VW tatsächlich die Schadensdimension begreift, welche die Abgase der Autos verursachen und inwieweit er endlich eine Konzernstrategie für Null-Emissions-Auto auf den Weg
bringt.1
Die Wir-sind-wir-Mentalität der Autobauer
Die europäische Autoindustrie richtet warnende Worte an die Politik, den Klimaschutz nicht zu ernst zu nehmen. Die EU-Vorgabe bis 2020 lautet, der Flottenausstoß muss von derzeit 130 Gramm CO2 pro Kilometer auf 95 Gramm gesenkt werden. Eine weitere Reduktion auf unter 80 Gramm bis 2025 wollen Deutschland und Frankreich verhindern, und zwar aus Rucksicht auf ihre Autoindustrie. „Die Wirtschaft kann nur dann in Nachhaltigkeit und Umweltschutz investieren, wenn sie es sich leisten kann“, so VW-Chef Winterkorn beim Pariser Autosalon im Oktober 2014.
Druck auf Österreichs Politik
Um die Bedeutung der Autobranche hervorzuheben, führt sie ins Treffen, dass sie in Österreich 450.000 Arbeitsplätze sichere, zum Bruttoinlandsprodukt 5,5 Prozent beitrage und 15 Milliarden an Steuern an den österreichischen Staat entrichte.
Alles, was mit Verteuerung des Autos und des Autoverkehrs zu tun hat, wird von der Autobranche vehement abgelehnt. „Österreich ist ein Autoland“, betonte vor kurzem Felix Clary, Österreichs Sprecher der Autoimporteure. Wenn man so einen wichtigen Industriezweig habe, solle man dem nicht ständig die Produkte verteuern.2
Felix Clary
Und die Autobranche, voran Alan Favey, Chef der Porsche Holding, beklagt sich, dass die Steuerreform die stärkere Besteuerung von Dienstfahrzeugen ab einem bestimmten CO2-Ausstoß enthalte. Man befürchtet, dass der Automarkt, der seit fünf Jahren ohnehin rückläufig sei, weiter einbrechen werde. Da kleinere Dienstautos gekauft würden, würden auch die Steuereinnahmen des Staates sinken.3
Die Aufregung der Autoindustrie ist verständlich. Man will ja wachsen, nicht schrumpfen. Andererseits muss uns klar sein, dass ein bisschen „herumdoktern“ nicht genügen wird. „Wenn Nachhaltigkeit das Ziel ist, dann brauchen wir eine neue industrielle Revolution“, sagt Helga Weisz, Professorin für Industrielle Ökologie vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Die Industrie des 19. Jahrhunderts beruhte auf fossilen Brennstoffen und hohem Materialdurchsatz. Jetzt, im 21. Jahrhundert, wird sich eine neue industrielle Revolution auf emissionsfreie Energiesysteme und geschlossene Stoffkreisläufe gründen müssen.“ 4
Verantwortung der Politik
Die Autoindustrie erzeugt einerseits das, was nachgefragt wird. Sie bietet auch Spritfresser und Straßenkreuzer an, wenn sie der Kunde wünscht. Andererseits ist die Autoindustrie daran interessiert, teure Autos zu verkaufen und bewirbt solche Autos mit entsprechender Intensität.
Die Politik muss an den Verkehrssektor das Signal senden, dass die Entwicklung nicht wie bisher weitergehen kann. Die Politik ist gefordert, die Bevölkerung für die schrittweise Änderung der Rahmenbedingungen zu gewinnen, z. B. für die Angleichung des Dieselpreises an den Benzinpreis und für die Belastung fossiler Treibstoffe mit einer in kleinen Schritten steigenden CO2-Abgabe.
Das E-Auto braucht einen deutlichen Schub
Es ist offensichtlich, dass die Autoindustrie am E-Auto wenig interessiert ist. Denn auf Grund der einfachen Technik des E-Autos ist der Service- und Reparaturaufwand gering, was sich auf die Gewinne negativ niederschlägt. Die gesamte Autobranche – von den Produzenten bis zu den Reparaturwerkstätten – plädiert daher für fossil betriebene Autos und für Elektro-Fossil-Hybridautos. Sie tendiert eher dazu, das E-Auto als kleines Zweitauto anzupreisen.
Tatsache ist aber, dass im Zuge des Umstiegs auf erneuerbare Energien der Strom immer mehr die energetische Hauptsäule des Verkehrs werden wird. Das heißt, das solar betriebene E-Auto wird das fossil betriebene Auto weitgehend ersetzen.
Da es aber eine Konkurrenz zum eindeutig umweltfreundlicheren öffentlichen Verkehr darstellt, muss die Verkehrspolitik unbedingt das Ziel verfolgen, das Gesamtverkehrssystem durch Intermodalität und Förderung des öffentlichen Verkehrs zu optimieren. Deshalb ist ein Gesamtplan vonnöten, in den die E-Mobilität eingebettet ist und in den auch die Energiewirtschaft integriert ist.5
Einerseits sind
Förderungen nötig, damit sich die derzeit noch relativ teuren E-Autos vom Nischenprodukt zur tragenden Mobilitätstechnik im motorisierten Individualverkehr entwickeln können, andererseits wäre es
fatal, wenn dafür wegen der Knappheit des Budgets beim öffentlichen Verkehr gespart würde. Deshalb wird die Förderung nicht so weit gehen können, dass sich einfache Pendlerinnen und Pendler in
absehbarer Zeit ein E-Auto leisten können.
Aber Firmen und das öffentliche Beschaffungswesen können hier sicher leichter die Vorreiterrolle übernehmen.5
Für die Durchsetzung des E-Autos hilft es auch, im Sinne der Ökologisierung des Abgabensystems eine in kleinen Schritten steigende Belastung fossiler Treibstoffe (und Brennstoffe) mit einer CO2-Abgabe einzuführen, ergänzt durch sozialen Ausgleich (Vermeidung von Energie- und Mobilitätsarmut). Die Autobranche tut gut daran, diese und andere ordnungspolitische Maßnahmen nicht zu torpedieren.
Vorschlag zur CO2-Abgabe: http://ksi.jimdo.com/aktivitäten/projekt-2012/co2-abgabe-neu/
Weiters müssen die
Autoproduzenten – vor allem zuerst einmal die europäischen – unter Vermittlung der Politik dazu gebracht werden, dass sie sich einigen und eine gemeinsame Linie in Richtung E-Mobilität verfolgen.
Kooperation ermöglicht einheitliche Standards.
Für die in Europa favorisierten On-Boarder (Batterie bleibt während des Ladevorgangs im Auto) bedarf es eines weit verzweigten Netzes von Ladestationen, um die Autos dezentral dort aufladen zu können, wo sie geparkt werden.
On-Boarder-Ladestelle
Strebt man ein Off-Board-System an (entladene Batterie wird bei einer großen Ladestation mit Hilfe eines Roboters überprüft und ohne großen Zeitverlust gegen eine geladene ausgetauscht – Ladestationen könnten die bisherigen Tankstellen sein), so ist es sinnvoll, wenn die Batterien der einzelnen Hersteller untereinander austauschbar sind, sodass sich zuallererst die Hersteller bezüglich der technischen Daten der Batterien zu verständigen haben. Eine Herausbildung eines einheitlichen Industriestandards ist hier unerlässlich – wie überhaupt im Bereich der E-Mobilität die Standardisierung der Komponenten dringend erforderlich ist.
Der in der „Energiestrategie Österreich“ vorgesehene Zielwert von 250.000 Elektrofahrzeugen bis 2020 kann nicht erreicht werden. Derzeit wird nur ein verschwindend kleiner Teil der Autos elektrisch betrieben. Einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung wollen die Wiener Stadtwerke setzen: Ab 2016 sollen in Wien 120 E-Taxis unterwegs sein. Nach einer Evaluierung könnte die Zahl auf 250 wachsen. Ein Tropfen auf den heißen Stein, aber die Richtung passt.
Elektro-Autos in Österreich |
31. 12. 2014 |
31. 12. 2013 |
Reine E-Autos (nur Batterieantrieb) *) |
3.386 |
2.070 |
Benzin/Elektro (hybrid) ***) darunter Plug-in **) |
12.232 727 |
10.049 385 |
Diesel/Elektro (hybrid) ***) darunter Plug-in **) |
591 49 |
455 23 |
Quelle: Statistik Austria
*) Laut „Salzburger Nachrichten“ vom 18. Juni 2015 aktuell 3.800 reine E-Autos
**) Batterie kann auch an einer Steckdose aufgeladen werden
***) Aufladen der Batterie mit dem Benzin- bzw. Dieselmotor
Zu bedenken ist auch, dass das E-Auto keine Patentlösung für Verkehrsprobleme ist. Auch mit dem E-Auto steht man im Stau. Aus Energie- und Klimaschutzsicht ist das E-Auto nur als Teil eines Gesamtplans, in dem der öffentliche und nichtmotorisierte Verkehr und die Raumordnung eine wesentliche Rolle spielen, ein Fortschritt. Außerdem muss der Strom von erneuerbaren Energiequellen kommen. Dasselbe gilt für E-Autos, die mit Brennstoffzellen betrieben werden: Der Wasserstoff muss auf der Basis erneuerbarer Energiequellen produziert werden. Somit scheidet Wasserstoff, der aus Erdgas gewonnen wird, von vornherein aus.
Die Bahn – das unterschätzte E-Mobilitäts-System
In Österreich wird leider wenig beachtet, dass die Bahnstrecken zum Großteil elektrifiziert sind, wobei der Strom zu über 80 Prozent aus Wasserkraft kommt.
Das heißt, die elektrisch betriebene
Bahn ist in Österreich die bereits vorhandene, umwelt- und klimafreundliche, hoch effiziente Struktur für E-Mobilität. Wie wenig man sich dessen bei Entscheidungsträgern und in der Bevölkerung
bewusst ist, zeigt die Tatsache, dass auf Prospekten die Anreisewege zu bestimmten Orten bzw. Veranstaltungen in der Regel nur mit dem Autobahn- und Straßennetz dargestellt werden.
Zur bereits bestehenden E-Mobilität gehören auch die Straßenbahn, die U-Bahn und der Obus. Und was ist mit den Diesel-Bahnstrecken? Diese zu elektrifizieren ist in relativ kurzer Zeit möglich. Die Umstellung des Straßenverkehrs auf E-Antrieb wird hingegen länger dauern.
Quellen:
1 Die ersten sechs Absätze stammen (gekürzt) aus einem Text von Hans-Josef Fell (Präsident der Energy Watch Group und Autor des EEG 2000), Berlin, 24. September 2015 (www.hans-josef-fell.de). In: www.oekonews.at vom 26. September 2015
2 Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“ (SN) vom 7. Jänner 2015
3 SN vom 21. Mai 2015
4 SN vom 22. Mai 2015
5 Silvia Leodolter, „E-MOBIL?“, in: Wirtschaft & Umwelt, Nr. 2/2010, Seite 14, hgg. von Bundesarbeitskammer, Wien