16. September 2015: Brauchen wir wieder einen autofreien Tag wie 1973?
So begrüßenswert der „Autofreie Tag“ und die "Europäische Mobilitätswoche" auch sein mögen, vor allem für die Bewusstseinsbildung: Was bleibt, ist lediglich der Name „Autofreier Tag“, ein Name ohne nachhaltige Verbindlichkeit, ohne weitreichende Folgen.
Wir brauchen wahrscheinlich wieder den autofreien Tag, wie er 1973 eingeführt wurde und eine Zeit lang Woche für Woche befolgt werden musste – bei Strafe.
Den ersten autofreien Tag gab es in Österreich im November 1973 als Folge der Ölkrise
Anlässlich des Jom-Kippur-Krieges vom 6. bis 26. Oktober 1973 (Angriff von Ägypten und Syrien auf Israel) drosselte die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) die Ölfördermengen um etwa fünf Prozent, um die westlichen Länder wegen ihrer Kriegsunterstützung Israels unter Druck zu setzen. Als Folge dieser Ölverknappung stieg der Ölpreis deutlich an.
Am Embargo nahmen Algerien, Irak, Katar, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate teil. Die europäischen Staaten waren gezwungen, Sparmaßnahmen zu ergreifen. Es kam zu einer Wirtschaftskrise, vor allem im Jahr 1974.
Um Treibstoff zu sparen – Benzin war um rund 70 Prozent teurer geworden –, durfte man in Österreich ab November 1973 auf der Autobahn nur Tempo 100 fahren. Und für etwa fünf Wochen wurde ein autofreier Tag pro Woche eingeführt. Mit einem Aufkleber auf der Windschutzscheibe gaben die Autolenkerinnen und Autolenker bekannt, an welchen Wochentagen sie das Auto nicht fahren durften.
Damals erkannten die europäischen Politiker, dass die einseitige Abhängigkeit von den arabischen Staaten gefährlich war. Es gab einen für die damalige Zeit brauchbaren Ausweg: zum Beispiel Offshore-Förderung von Erdöl in der Nordsee und technische Fortschritte im Sinne effizienterer Energienutzung.
Das Maß ist überschritten
Unser Mobilitätsstil ist nicht globalisierbar und auch nicht enkeltauglich. Für die dringend nötige Wende im Verkehrssektor müssen einerseits die Rahmenbedingungen geändert werden. Dafür ist die Politik zuständig. Andererseits muss die Verkehrswende umgesetzt werden. Und das dafür not-wendige Umdenken und Tun muss „unten“ geschehen, bei uns, bei mir und Dir.
Die Entdeckung der fossilen Energieträger und bahnbrechende Erfindungen, wie z. B. Dampfmaschine und Verbrennungsmotoren, ermöglichten die Motorisierung und somit einen hohen Grad an Mobilität. Das wäre eigentlich etwas Positives, wenn wir Menschen der Industrieländer das Maß nicht überschritten hätten: Zu viele Autokilometer pro Jahr, zu stark motorisierte und zu schwere Autos, zu viele Flugreisen, zu viel LKW-Verkehr…
Direkte negative Folgen, an denen viele von uns zu leiden haben:
Belastung durch Lärm, Abgase, Staub, Stress, Staus; Verletzte, Verkehrstote; Bewegungsmangel…
Hohe Kosten für das Gemeinwesen, den Staat:
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Ausgaben für Errichtung und Erhaltung der Straßen-Infrastruktur
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Volkswirtschaftliche Schäden durch Krankheiten (Unfallfolgen, Folgen des Bewegungsmangels…)
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Importabhängigkeit bei fossilen Energien (2013: ca. 12 Mrd. Euro für Nettoenergieimporte, fast nur fossile Energieträger)
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Finanzielle Verluste wegen nicht ausgelasteter öffentlicher Verkehrsmittel
Negative Folgen, die globalisiert werden:
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Rohstoffe: Motorisierter Verkehr ist materialintensiv. Die Produktionsschritte wie Abbau und Veredelung von Metall erfolgen meistens in anderen Staaten.
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Müll: Wir entsorgen das Verbrennungsprodukt, das Kohlenstoffdioxid, als gasförmigen Müll einfach in die Atmosphäre – kostenlos – und ohne zu bedenken, dass die Folgen auch jene zu tragen haben, die nur in geringem Ausmaß oder überhaupt keine fossilen Energieträger verbrennen.
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Negatives Vorbild für arme Länder (wir „exportieren“ unseren verschwenderischen Lebensstil)
Quellen:
Statistik Austria – Energieflussbild 2013;
Statistik Austria – Nutzenergieanalyse – Energetischer Endverbrauch 2013
Graphik: Verein Klimaschutz-Initiative
Erläuterungen:
3,6 PJ (Petajoule) = 1 TWh (Terawattstunde) = 1.000.000.000 kWh
Gesamtenergieverbrauch = Bruttoinlandsverbrauch = 1423 PJ
Quelle: Statistik Austria – Nutzenergieanalyse – Energetischer Endverbrauch 2013
Graphik: ks-i
Fahrzeugarten in Österreich
31. 12. 2014:
Diesel: 2,66 Mio. PKW, 0,42 Mio. LKW
Benzin: 2 Mio. PKW
Verkehrswende ist notwendig
Energie- und Klimaziele sind ohne Verkehrswende nicht erreichbar.
Um die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, möchte die EU die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringern. Seit dem Jahr
1990 verzeichnet aber der Verkehrssektor in Österreich von allen Sektoren den stärksten Anstieg bei den Treibhausgas-Emissionen und weicht trotz aller Fortschritte am weitesten vom Kyoto-Ziel ab.
Der Energiebedarf des Verkehrs ist in Österreich in den Jahren 1990 bis 2013 von 194 PJ auf 380 PJ gestiegen, sodass der Verkehrssektor bereits 34 Prozent des gesamten Endenergie-Einsatzes beansprucht. Trotz Krise nahm der Energieverbrauch im Verkehr von 2012 auf 2013 um 4,6 Prozent zu.
Fossile Treibstoffe decken zu gut 90 Prozent den Energiebedarf im heutigen Verkehr, der Rest kommt von Biokraftstoffen und vom Strom. Größte Anstrengungen werden nötig sein, um bis 2020 die in der „Energiestrategie Österreich“ vorgesehene Reduktion des Energieeinsatzes im Verkehrsektor um fünf Prozent gegenüber 2005 zu erreichen.
Dass knapp 100 PJ Treibstoffe „in Fahrzeugtanks exportiert“ werden (Tanktourismus), hat damit zu tun, dass Treibstoffe nicht nur in fast allen Nachbarländern Österreichs, sondern in beinahe allen Staaten Europas teurer sind als bei uns. Die Auto- und die Frächterlobby einerseits und eine wenig couragierte Regierung andererseits sind die Ursachen für die blamable Tatsache, dass der einstige Umweltvorreiter Österreich immer mehr in der ökologischen Bedeutungslosigkeit verschwindet.
Grundsätze für die Verkehrswende:
Vermeiden von motorisiertem Verkehrs
Verlagern: Nicht vermeidbaren motorisierten Verkehr zum öffentlichen Verkehr bzw. zur Bahn verlagern
Ökologisch, solar: Umstellung des motorisierten Verkehrs auf umweltfreundliche, vor allem CO2-neutrale Antriebstechniken mit Strom als hauptsächliche Primärenergie
Beispiele für Ordnungspolitik:
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Verkehrsberuhigende Raumordnung; Vermeidung von Zersiedelung durch strengere Raumordnung und Raumplanung
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Sozialer und räumlicher Ausgleich im öffentlichen Verkehr: Nicht nur auf Nachfrage reagieren, sondern auch durch Angebot gestalten. Denn die Benutzung des öffentlichen Verkehrs muss für alle sozialen Schichten und auch im ländlichen Raum möglich sein (Bahn als Rückgrat; Stundentakt als zeitliche Mindeststruktur; abseits von Bahnlinien können in dünn besiedelten Gebieten außerhalb der Hauptverkehrszeiten die Zubringerbusse durch Anrufsysteme ersetzt werden)
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Langlebige und kreislauftaugliche Fahrzeuge (Öko-Design, sorgfältiges Recycling…)
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Schrittweise steigende Belastung fossiler Treibstoffe durch eine CO2-Abgabe und Ausdehnung der LKW-Maut auf alle Straßen mit schrittweiser Anhebung auf Schweizer Niveau
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So wird Kostenwahrheit realisiert: Die Kosten, die durch umwelt-, gesundheits- und klimaschädliche Emissionen, durch Verkehrslärm, durch Erhaltung der Infrastruktur usw. entstehen („externe Kosten“), werden in zunehmendem Maße vom Verkehr getragen (Verursacherprinzip).
Beispiele für Infrastrukturpolitik:
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Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs mit Bahn als Grundnetz, Busse in der Regel als Zubringer zur Bahn, nicht als Konkurrenz (Vermeidung von Parallelverkehren)
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Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene und Ausbau des Schienennetzes
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Aufwertung der ländlichen Regionen, vor allem Sicherung/Wiederherstellung der Nahversorgung
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Verlagerung des kontinentalen Flugverkehrs auf die Schiene
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Verbesserung der Infrastruktur für den Rad- und Fußgängerverkehr
Informationspolitik:
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Breit angelegte Informations- und Motivationsarbeit
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Dialog zwischen Politik, Experten, NGO’s und Zivilgesellschaft - denn Alleingänge der Politik sind zum Scheitern verurteilt, und ein Drüberfahren lässt sich die Zivilgesellschaft nicht gefallen.
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Umwelt- und klimafreundliches Verhalten beginnt im Kopf jeder/jedes Einzelnen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Verkehrswende auf Widerstände stößt, denn es geht um Gewohnheiten, und die Autobauer, die Frächter und die Fluggesellschaften sind auf Wachstum aus. Als Zeichen des gemeinsamen Wollens wäre vorstellbar, den autofreien Tag wieder zu beleben – zunächst nur von Initiativgruppen getragen, dann sich auf größere Kreise ausweitend und schließlich zu einer großen Welle werdend. Wir brauchen so etwas wie den autofreien Tag wie 1973, um aus dem Alltagstrott aufgescheucht zu werden und intensiver zu erkennen, dass wir nicht wie bisher weitermachen können.
Die Tanktourismus-Heuchelei
1997 verpflichteten sich viele Staaten in der Kyoto-Vereinbarung dazu, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Als Basis dienten die Emissionswerte von 1990, die Zielwerte sollten bis zum Zeitraum 2008/2012 erreicht werden.
Österreich verpflichtete sich zu einer Reduktion um 13 Prozent. Das heißt, die Emissionen von 1990 in der Höhe von 79 Millionen Tonnen sollten auf 68,7 Millionen Tonnen gesenkt werden. Dieses Ziel wurde aber verfehlt. Der Treibhausgas-Ausstoß Österreichs lag 2012 bei 80 Millionen Tonnen, also um 11,3 Millionen Tonnen zu hoch, und konnte 2013 auf lediglich 79,6 Millionen Tonnen reduziert werden.
Wegen der Nichterreichung des Kyoto-Zieles musste Österreich Emissionszertifikate zukaufen. Die Lösung des Problems wäre einfach: Österreich braucht nur die Treibstoffpreise an die der Nachbarn angleichen, und der Tanktourismus wäre Geschichte.
Die Heuchelei besteht nun darin, dass Österreich sehr wohl die Steuereinnahmen aus dem Tanktourismus kassiert, aber in Brüssel darauf drängte, das daraus entstehende Mehr an CO2-Emissionen auf die in Österreich tankenden Nachbarn abschieben zu können. Es ist schockierend, dass sich Österreichs Politiker nicht genierten, so etwas in Brüssel zu fordern. Natürlich tat es weh, dass Österreich Emissionszertifikate kaufen musste, weil hier große Mengen fossile Treibstoffe getankt werden.
Quelle: Treibhausgasbilanz 2013 http://www.umweltbundesamt.at/aktuell/presse/lastnews/news2015/news_150326/
Graphik: Klimaschutz-Initiative ks-i
1990 emittierte Österreich 79 Millionen Tonnen Treibhausgase (Klimagase). Ab 2000 stiegen die Emissionen auf über 90 Tonnen im Jahr 2005, konnten aber bis heute (2013) wieder auf knapp unter den Stand von 1990 reduziert werden (auch bedingt durch die Wirtschaftskrise). Diese Reduktion vollzog sich trotz der Tatsache, dass der Jahres-Gesamtenergieverbrauch deutlich stieg, und zwar von ca. 1100 PJ im Jahr 1990 auf gut 1400 PJ (2013). Das hat damit zu tun, dass der Energiemix durch vermehrten Einsatz von erneuerbarer Energie (bei Biomasse sogar eine Steigerung von 138 PJ auf 244 PJ) und von Erdgas (Klimagas-Emissionen pro kWh geringer als bei Kohle und Erdöl) sich zu Gunsten der Verminderung von Treibhausgas-Emissionen verändert hat.
Unter „CO2-Äquivalent“ versteht man die Maßzahl für die Erwärmungswirkung (Klimawirksamkeit) eines Gases über einen bestimmten Zeitraum, meist 100 Jahre. Als Vergleichwert dient CO2. Für Methan (CH4, Hauptbestandteil des Erdgases) beträgt z. B. das CO2-Äquivalent 25. Das heißt, dass ein Kilogramm Methan, wenn es in die Atmosphäre gelangt, innerhalb der ersten 100 Jahre nach Freisetzung 25-mal so stark zum Treibhauseffekt beiträgt wie ein Kilogramm CO2.