12. Jänner 2018: „Wachstumsfeindlich? Super!“

 

Wir befinden uns in der Phase globaler Beschleunigung. Das heißt, das Tempo technischer Veränderungen aller Lebensbereiche ist heute in vielen Ländern bzw. Regionen so rasant, dass das politische System zu langsam geworden ist.

 

Demokratie braucht Zeit. Verhandlungszeit. Zeit, um Leute zu überzeugen und um Argumente abzuwägen. Zeit, um die Technikfolgen überprüfen zu können und problematische Techniken und Stoffe rechtzeitig verhindern zu können.

 

Aber wir haben eine derart rasante Beschleunigung herbeigeführt bzw. zugelassen, dass die Demokratie nicht mehr mitkommt. Dazu kommt, dass Konzerne die Szene beherrschen. Sie werden nicht durch Regulierung eingeschränkt, sondern sogar noch gefördert, weil sie Arbeitsplätze versprechen – „wobei die Digitalisierung ganz klar dazu führen wird, dass tausende Arbeitsplätze verschwinden“, sagt die bekannte Wissenschafterin Verena Winiwarter im Interview in den Salzburger Nachrichten. (1)

 

Und Winiwarter weiter: „Wenn es so ist, dass die Welt derzeit ein Spiel spielt, sehe ich auf der Bühne zwei Figurengruppen. Die eine sind die Zauberlehrlinge, die ohne Rücksicht und vor allem ohne Vorsicht Technologie entwickeln, denen nicht das Vorsorgeprinzip, sondern das nackte Innovationsprinzip am Herzen liegt. Und jetzt können sie nicht mehr aufhören. Sie kennen das Zauberwort nicht, um den Besen wieder in die Ecke zu bringen.“

 

Die zweite Gruppe auf der Bühne, das sind nach Winiwarter die Hofnarren, die Kabarettisten und Endzeitpropheten, die zwar richtig analysieren und auch von Wissenschaftern und einer zunehmenden Zahl von Ökonomen unterstützt werden, aber nichts ändern können. Man wirft ihnen vor, gegen Wirtschaftswachstum zu sein. Dazu Winiwarter: „Dann sage ich: Super! Wachstumsfeindlichkeit ist genau, was wir brauchen. Wir brauchen ein neues Gesellschaftsmodell.“

 

Zur Klarstellung: Die Wachstumskritik richtet sich nur gegen das materielle Wachstum. Denn im immateriellen Sektor ist Wachstum grenzenlos möglich.

 

Dass materielles Wachstum Grenzen hat, ist eine sehr unangenehme Botschaft. Den Konsumkapitalismus zu hinterfragen heißt gegen den Strom zu schwimmen. Es besteht die Gefahr, dass man dabei untergeht. Frau Professor Winiwarter sieht daher ein, dass man – trotz Verbohrtheit bei Konzernvorständen und trotz Blindheit bei den Eliten – unangenehme Botschaften nicht erfolgreich verkünden kann, wenn man diese auch noch mit Pessimismus verbindet. Sie habe sich daher entschlossen, nach allem zu suchen, was eine Chance für Optimismus biete. Die Nachkriegsgeneration habe es geschafft, die Wunder der 50er und 60er zu bewerkstelligen. „Warum dann wir nicht?“, fragt sich Winiwarter.

 

Derzeit eilen Forschung und Entwicklung der Technikfolgen-Kontrolle und der Vorsorge davon. Winiwarter: „Ich bin für die Einführung des Vorsorgeprinzips anstelle des Innovationsprinzips.“

 

Wir brauchen mehr Fortschritts-Lenkung. Fortschritte muss es zum Beispiel geben beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Kreislaufwirtschaft (Wiederverwendung, Widerverwertung, Reparieren…), bei der Notwendigkeit der Mobilitäts-Transformation in Richtung Klimaverträglichkeit, bei der Ökologisierung der Landwirtschaft und bei der Technikfolgenkontrolle.

 

 

(1) Salzburger Nachrichten vom 4. Dezember 2017

Univ.-Prof. Ing. Dr. phil. Verena Winiwarter ist Ingenieurin der technischen Chemie. Später studierte sie Geschichte an der Universität Wien und habilitierte sich im Fach Humanökologie. 2013 war Winiwarter österreichische Wissenschafterin des Jahres. Sie lehrt seit 2007 am Institut für Soziale Ökologie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt in Wien. Sie ist u. a. Mitglied der Akademie der Wissenschaften.