12. Dezember 2020: Genau vor fünf Jahren gelang in Paris der Durchbruch
Die Gefahren durch die ständig fortschreitende Erwärmung der Atmosphäre waren 2015 längst bekannt. Aber mit dem UN-Klimavertrag von Paris gab es erstmals ein globales Bekenntnis. Die Erderwärmung soll - die Wissenschaft sagt: muss - auf höchstens zwei Grad begrenzt werden. Nur dann besteht eine gute Chance, die katastrophalsten Auswirkungen der Erderwärmung im Griff zu behalten. Derzeitiger Stand: mehr als ein Grad plus im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.
Wie es der Pariser Vertrag vorsieht, bessern die Staaten der Welt gerade ihre Versprechen nach. Klimaneutralität, null Emissionen oder Zwischenziele a la minus 55 Prozent bis 2030 wie zuletzt beim EU-Gipfel sind die Schlagworte. China will 2060 beinahe emissionsfrei sein, die EU, Japan, Großbritannien und Südkorea bereits 2050. Amerika wird bald folgen.
Wer wird hingegen im fossilen Zeitalter von Kohle, Öl und Gas hängen bleiben? Die Zementindustrie? Die Kollegen vom Stahl? Oder werden sie den Wandel schaffen, dank satter Hilfe mit Steuergeld? Wer kann die Technologie bieten, das Gesellschaftsmodell, das Geschäftsmodell?
Hier liegt die Europäische Union voran. Mit ihrem Green Deal gibt sie weltweit das Tempo und den Rahmen vor. Bis Juni wird die EU-Kommission mit ihrer Vielzahl von Gesetzesentwürfen für alle Bereiche von Chemie bis Biodiversität, von Bauen bis Wohnen, von Fahren bis Fliegen die Weichen stellen.
In einigen Bereichen herrscht Nachholbedarf. China, zunehmend eine Hightech-Diktatur. investiert Milliarden in CO2-freie Mobilität. Und auch die USA werden aufwachen - sie sind potenzielle Partner eines transatlantischen Green Deal.
Es geht ums Geld, das haben mittlerweile auch die Konzernbosse verstanden, die meisten wenigstens. Green Deals sind ein gigantischer Wachstumsmotor, nur eben sauber diesmal.
Soeben haben sich 30 Großinvestoren, darunter die Schweizer Großbank USB, die Deutsche Bank sowie Versicherungs- und Fondsriesen, zusammengetan und gelobt, ihr Anlagevermögen von mehr als 9000 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 aus sämtliche fossilen Investments abzuziehen. Auch wenn Misstrauen gegenüber solchen Schwüren angebracht ist: Der Rückzug ist naheliegend. Beteiligungen an den globalen Öl-, Kohle- und Gasgiganten dürften dramatisch abstürzen, je weniger die Unternehmen fördern. Oder wenn gesetzliche Regelungen den CO2-Ausstoß immer strenger limitieren.
Wie überraschend schnell der Wandel mitunter geht, davon können die Vorstände der Autobranche und der Energieversorger ein Lied der Schmerzen singen. Kaum jemand von ihnen hätte 2015 angenommen, dass der Verbrennungsmotor ein Auslaufmodell ist und billiger Strom aus Wind und Sonne der Kohle den Garaus macht.
Die Aufgabe bleibt gewaltig. 2020 wird der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen um mehr als sieben Prozent sinken - eine Folge der Lockdowns. Um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, das erklärte Ziel der Weltgemeinschaft, müssen die Emissionen von nun an Jahr um Jahr um etwa denselben Betrag heruntergefahren werden.
Womit unumstößlich klar ist: Weder Ölheizung noch herkömmliche Flugzeugtriebwerke, weder die bisherige Art der Landwirtschaft noch die des Bauens oder der Fortbewegung sind zukunftsgeeignet.
Während der vergangenen 30 Jahre sind die Emissionen um rund 40 Prozent gestiegen. In den nächsten 30 Jahren sollen sie um mindestens 90 Prozent sinken.
Das alte Wachstumsmodell, das auf fossile Energie, Ausbeutung und Verschmutzung setzt, hat sich überlebt. Die Zukunft wird leiser, grüner und freundlicher. Aber die Änderung wird dramatisch.
Noch teurer und noch dramatischer wäre nur eines: Weiter tun wie bisher.
Quelle: Artikel von Martin Stricker in den "Salzburger Nachrichten" vom 12. Dezember 2020