11. März 2015: Fukushima-Katastrophe vor vier Jahren

 

 

Derzeit ist in Japan keiner der 50 Atomreaktoren in Betrieb. Japans Bevölkerung ist mehrheitlich gegen Atomenergie. Die japanische Regierung will aber die Reaktoren aus wirtschaftlichen Gründen nach und nach wieder in Betrieb nehmen.

 

Vor vier Jahren ereignete sich am 11. März vor der Ostküste des nördlichen Teiles von der japanischen Hauptinsel Honshu im Pazifischen Ozean ein starkes Seebeben, das einen gewaltigen Tsunami auslöste und auch einen Teil der Insel erschütterte. Die zerstörerische Wucht des Erdbebens der Stärke 9 und der bis zu 30 Meter hohen Flutwelle hatte zur Folge, dass nicht nur fast 19.000 Menschen den Tod fanden, 260 Städte beschädigt wurden und eine Million Häuser zerstört wurden, sondern auch vier der sechs Atomreaktoren des Atomkraftwerkes Fukushima Daiichi schwer beschädigt wurden, davon drei so stark, dass ihre Selbstzerstörung unaufhaltsam fortschritt. Das heißt, in diesen drei Reaktoren passierte der Super-GAU, also jener Unfall, für den ein Atomkraftwerk nicht ausgerüstet ist. Die Reaktorkerne, in denen sich die Brennelemente befinden, schmolzen (Kernschmelze bei weit über 1000 Grad Celsius) und die flüssigen Klumpen, die sich ständig selber erhitzen, bohrten sich in den Untergrund hinein.

 

 

Folgen der Reaktorkatastrophe:

 

Durch die radioaktive Verseuchung wurde ein riesiges Gebiet unbewohnbar. Zur Kühlung des Inneren der Reaktorruinen 1, 2 und 3 wird Wasser eingeleitet. Ein Teil des radioaktiv kontaminierten Kühlwassers fließt nach wie vor ins Meer, ebenso auch verstrahltes Grundwasser. Niemand weiß, wo sich die geschmolzenen Reaktorkerne genau befinden. Die Strahlung in den zerstörten Gebäuden ist so stark, dass sie kein Mensch betreten kann.

 

 

Maßnahmen der Regierung und der Betreiberfirma Tepco:

 

Das für die Kühlung ständig zugeführte Wasser wird selber radioaktiv und – soweit das Abpumpen gelingt – in Tanks gespeichert. Es gibt bereits über 1000 Tanks, und es werden noch viel mehr. Ein Teil der radioaktiven Stoffe – vor allem Strontium – wird herausgefiltert, allerdings beim radioaktiven Wasserstoff (Tritium) gelingt dies nicht. Die Dekontaminations- und Aufräumarbeiten in der verwüsteten Umgebung werden etwa vier Jahrzehnte dauern.

 

 

Folgen der Reaktorkatastrophe für die Bevölkerung:

 

Die von der radioaktiven Verseuchung direkt betroffene Bevölkerung wurde abgesiedelt. Auch nach vier Jahren können 120.000 Menschen wegen der Strahlung noch immer nicht zurück in ihre Heimat. Zehntausende hausen in Behelfsunterkünften, z. B. in Containern. Die Traumatisierung und der Verlust der Heimat sind besonders für die älteren Menschen kaum zu ertragen. Die Sterberate ist hoch, auch die Selbstmordrate. Schwerwiegend werden die Spätfolgen sein. Mediziner erwarten Tausende Krebsfälle.

 

 

Reaktionen der Bevölkerung:

 

Die japanische Bevölkerung ist mehrheitlich gegen Atomenergie. Jeden Freitag findet vor dem Amtssitz des Premierministers Shinzo Abe eine Demonstration gegen Atomenergie statt. Außerdem drohen Rechtsanwälte mit einer Flut von Klagen. Viele haben das Vertrauen in die Betreiberfirma Tepco verloren, weil diese Firma die Information, dass in drei Reaktoren die Kernschmelze begonnen hat, zwei Monate lang unterschlagen hat.

 

 

Aber die Widerstandkraft der Bevölkerung klingt ab. Am vergangenen Sonntag protestierten ein paar tausend Menschen in Tokio. Im Juli 2012 waren es noch 75.000 Menschen beim größten Protestmarsch gegen Atomenergie, den Japan je gesehen hat.

 

 

Vor dem Super-GAU in Fukushima waren in Japan 17 Atomkraftwerke mit insgesamt 54 Atomreaktoren (Reaktorblöcken) am Netz und erzeugten 30 Prozent des gesamten Strombedarfs. Die Kleinstadt Futuba lebte vom nahen AKW Fukushima Daiichi. Die Firma Tepco, der Betrieber dieses AKW, war der große Förderer einer ganzen Region. Alle hatten Arbeit, Tepco zahlte gut. Niemand stellte Fragen.

 

 

Derzeit ist in Japan kein einziges AKW am Netz. Dennoch hat dieses Land keine größeren Energieversorgungsprobleme. Einerseits laufen die herkömmlichen Kraftwerke auf fossiler Basis am Limit, andererseits erreichten Japans Bevölkerung und Industrien im Rahmen der Kampagne „Setsuden“ (Stromsparen), die Hälfte der AKW-Kapazität einzusparen. Japaner brauchen seit Fukushima weniger Lichtquellen, weniger Klimaanlagen im Sommer, wärmere Kleidung im Winter und effizientere Produktionsprozesse. Auf Kosten von etwas geringerem persönlichen Komfort hat es Japan praktisch über Nacht geschafft, zwei Dutzend Atomkraftwerke einzusparen, wobei noch viel Potenzial für technische Maßnahmen bleibt, um Energieverbrauch weiter zu reduzieren.

 

 

Japan, der einst drittgrößte Nuklearstromproduzent hinter den USA und Frankreich, hat der Welt gezeigt, dass Energieeffizienz ein Hauptpfeiler von Energiepolitik zu sein hat.

 

 

Die Regierung will aber nach und nach wieder Atomkraftwerke in Betrieb nehmen. Im Mai oder Juni sollen die ersten Atomkraftwerke wieder ans Netz gehen. Natürlich ist es keine Lösung, den Strom zu 89 Prozent mit Kohle, Öl und Gas zu erzeugen. Erneuerbare Energien, zumeist Wasserkraft, decken 11 Prozent und im Jahr 2020 voraussichtlich 20 Prozent des Strombedarfs. Der richtige Weg in die Zukunft wäre der, mit voller Kraft in die technische Energieeffizienz einzusteigen und eine Offensive bei erneuerbarer Energie zu starten. Die Bereitschaft in der Bevölkerung wäre – noch – vorhanden.

 

 

Aber die wirtschaftlichen Interessen der Industrie und vor allem die Firma Tepco, die wegen der Probleme, die sie mit den Reaktorruinen in Fukushima hat, enorme Verluste schreibt, drängen in Richtung Wiedereinstieg in die Atomstromproduktion. Die Regierung bekräftigt, dass ihr angesichts steigender Energiekosten, sinkenden Wirtschaftswachstums und fallender Einkommensgewinne keine andere Wahl bleibe, als mit Atomstrom die Abhängigkeit von Importen fossiler Energieträger zu reduzieren.

 

 

Indem nun Japan in alte Verhaltensmuster zurückzufallen droht, verpasst dieses Land die einmalige Chance, Fukushima als Katalysator für eine CO2-neutrale Zukunft zu nutzen.

 

 

 

Quellen:

 

Österreichischer Rundfunk Ö1-Hörfunk, Morgen- und Mittagsjournal vom 11. März 2015

 

Tageszeitung Salzburger Nachrichten vom 11. März 2015