11. Februar 2014: Baustopp für Semmering-Basistunnel

 

Der Bau des Semmering-Tunnels wurde durch die Bürgerinitiative „Alliance for Nature“ (Sprecher Christian Schuhböck) und durch politischen Widerstand von Seiten Niederösterreichs zwei Jahrzehnte lang verhindert. Erst 2012 wurde auf der Basis eines neuen Tunnel-Planes (27 km Tunnellänge) mit dem Bau begonnen. Doch gestern hob der Verwaltungsgerichtshof den Baubescheid auf. Drei Beschwerden von Alliance for Nature wurde stattgegeben.

 

Selbstverständlich muss den Beschwerden der Bürgerinitiative entsprochen werden. Andererseits ist aber auch zu bedenken, dass aus mehreren Gründen der Ausbau der Südbahn, vor allem die Entschärfung des Semmering-Nadelöhrs durch die Errichtung eines Semmering-Basistunnels (SBT), ein wichtiges Anliegen ist.

-   Denn nur durch Attraktivität des Bahnangebots und durch hohe Streckenkapazität ist massive Verkehrsverlagerung von der Straße zur Schiene möglich. 

-   Nur Investitionen in die Semmering-Südbahn – also nicht in die so genannten Alternaiven – bringen den meisten Nutzen, und zwar neben der Fahrzeitverkürzung für die Relation Wien-Graz auch eine bessere Bahnanbindung für die obersteirischen Ballungsräume bzw. für die Strecke Bruck-Leoben-Knittelfeld-Unzmarkt-Kärnten. Außerdem befahren nach Fertigstellung der Koralmbahn die Züge der Baltisch-Adriatischen Achse und der Pyhrn-Schober-Achse zwischen Bruck an der Mur und Graz dieselbe Strecke. Das wird hier zu deutlich mehr Verkehrsaufkommen führen und somit zu einem Ausbau dieses Abschnittes. Davon werden auch die Relationen Linz-Graz, Salzburg-Graz und Innsbruck-Graz profitieren.

 

Vorweg eine grundsätzliche Feststellung:

 

Bei der Energie- und Verkehrswende und beim Klimaschutz kommt dem System Eisenbahn eine Schlüsselstelle zu.

 

Denn dieses System entspricht von allen Verkehrsträgern der Tatsache am besten, dass der Strom im Zuge des Umstiegs auf erneuerbare Energien die energetische Hauptsäule des Verkehrs werden wird und dass der Gesamtenergieeinsatz deutlich reduziert werden muss. Das System Bahn kann den Strom am effektivsten in Antriebskraft umwandeln. Daher muss die Bahn-Infrastruktur durch eine Ausbau-Offensive fit gemacht werden für massive Verkehrsverlagerung.

 

In Österreich ist auf elektrifizierten Strecken die Bahn wegen des hohen Wasserkraft-Anteils bei Bahnstrom die bereits vorhandene, klimaschonende, hoch effiziente Technik für E-Mobilität.

 

Folgende Beanstandungen wurden von Alliance for Nature eingeklagt und in der Folge vom Verwaltungsgerichtshof bemängelt:

 

-    Lärmmessungen wurden an falschen Stellen gemacht oder überhaupt unterlassen.

-    Ein nicht beeideter Sachverständiger wurde eingesetzt.

-    Anrainer werden durch Aushubdeponien und Lärm belästigt.

 

Das sind Versäumnisse, die vermeidbar gewesen wären. Bis die Mängel beseitigt sind, muss der Bau gestoppt werden. Sobald die Forderungen des Verwaltungsgerichtshofes erfüllt sind und Rechtssicherheit herrscht, kann und soll der Tunnelbau wieder aufgenommen werden. 

 

Der Gefahr, dass nach Fertigstellung des SBT der Regelverkehr auf der bestehenden Ghega-Strecke (Weltkulturerbe-Strecke) eingestellt wird, muss durch einen Vertrag begegnet werden.

 

 

Merkmale der bestehenden Semmering-Strecke Gloggnitz-Mürzzuschlag (Ghega-Bahn):

 

1) Meilenstein der Eisenbahngeschichte:

 

Erste Hochgebirgsbahn der Welt, 1848 bis 1854 unter Carl von Ghega erbaut, zeitweise bis zu 20.000 Arbeiter (1/3 Frauen) beschäftigt, 41 km langer Streckenabschnitt der Südbahn, überwindet eine Höhendifferenz von 459 m, Scheitelpunkt auf 898 m, 14 Tunnels, 16 teils zweistöckige Viadukte sowie viele kleinere Brücken; mit weltweitem Preisausschreiben erfolgte der Aufruf zum Bau einer zugkräftigen und kurventauglichen Lokomotive für die Semmeringbahn; seit Dezember 1998 UNESCO-Weltkulturerbe (Idee kam von Alliance for Nature).

 

2) Probleme für den heutigen Bahnverkehr:

 

-    Lange Fahrzeit zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag: Schnellzüge brauchen für die 41 km lange Strecke 45 Minuten.

-    Wegen der starken Steigungen (weithin 20 %o, Höchstwerte 28 %o) brauchen schwere Güterzüge Vorspann-Loks oder sie müssen zerlegt werden.

-    Zur Hälfte sehr kurvenreich mit vielen kleinen Bogenradien – daher nur niedrige Geschwindigkeit möglich (z. T. bloß Radien mit 190 m für nur knapp 60 km/h) – dadurch geringe Streckenkapazität und starke Schienenabnutzung.

-    Wegen zu enger Tunnels untauglich für Doppelstockwagen und Rollende Landstraße, beschränkt tauglich für den Kombinierten Verkehr.

 

 

Chronologie des SBT:

 

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Varianten für eine Untertunnelung des Semmering-Passes entwickelt.

 

Erstes Projekt: 1989 wurde der erste SBT projektiert und zum Trassengenehmigungs-verfahren eingereicht: 22,7 km lang, 22,1 km Tunnellänge, einröhrig mit Sicherheitstunnel, 11,3 %o Steigung.

Im März 1989 beschloss der Nationalrat die Finanzierung des SBT, und im Juli wurde die Südbahn zur Hochleistungsstrecke erklärt.

Im August 1991 wurde die Trassenverordnung erteilt.

1994 erfolgte der eisenabahnrechtliche Bescheid über die Baugenehmigung. Im August dieses Jahres wurde mit dem Bau des Erkundungsstollens (Sondierstollen) auf steirischer Seite begonnen.

 

Parallel dazu agierte (und agiert heute noch) die Initiative Alliance for Nature erfolgreich gegen den SBT.  

 

1996 gab es einen Wassereinbruch in den Erkundungsstollen (Wassereinbrüche bei Tunnelbauten sind nichts Außergewöhnliches).

 

Unter dem Einfluss der Gegner-Initiative verweigerte Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll 1999 mit einem negativen Naturschutzbescheid die Zustimmung. Jegliche Bautätigkeiten mussten eingestellt werden.

 

Zweites Projekt: Da auf Grund von naturschutzrechtlichen Bedenken für das erste Projekt kein Baubeginn in Sicht war, wurde ab 2005 mit der Umplanung begonnen. Nach einem Trassenauswahlverfahren wurde im April 2008 vom damaligen Verkehrsminister Faymann und von Landeshauptmann Pröll mit der „Trasse Pfaffensattel“ eine Tunneltrasse südlich des ersten Projektes vorgestellt. Nach Erkundungsbohrungen wurden dann noch Trassenkorrekturen vorgenommen. Im Mai 2011 erfolgte die Baubewilligung. Baubeginn war am 25. April 2012, Fertigstellung 2024. Seit Aufhebung des Baubescheides am 10. Februar 2014 durch den Verwaltungsgerichtshof ruhen aber die Bauarbeiten.

 

 

Argumente für den SBT:

 

1) Der Semmering-Basistunnel ermöglicht für die Relation Wien-Graz eine Verkürzung der Fahrzeit um eine halbe Stunde:

 

Die aus mehreren Gründen notwendige massive Verkehrsverlagerung von der Straße zur Schiene ist nur möglich, wenn hohe Qualität geboten wird und die nötige Kapazität geschaffen wird. Von mehreren Qualitätskriterien kommt der Fahrzeit eine hohe Bedeutung zu. Derzeit kann die Bahn-Fahrzeit Wien-Graz nicht mit der PKW-Fahrzeit auf der Südautobahn A 2 mithalten.

 

-    Südbahn Wien-Graz derzeit mit dem schnellsten Zug: 2 1/2 Stunden Fahrzeit

-    Südautobahn A 2 Wien-Graz mit dem PKW: unter 2 Stunden Fahrzeit (204 km)

 

Die Errichtung des Semmering-Basistunnels ist eine Maßnahme, mit der dieser Mangel entschärft wird. Dass in diesem Bereich die Südbahn viergleisig wird, ist ein zusätzlicher Vorteil. Natürlich müssen weitere viergleisige Abschnitte auf der Südbahn bis Graz geschaffen werden, denn bei starker Verkehrzunahme (vor allem durch Verkehrsverlagerung) wird die Südbahn ansonsten an ihre Kapazitätsgrenze stoßen.

 

Die Westbahnstrecke ist das beste Beispiel dafür, wie die Fahrgastzahlen zulegen, wenn die Bahn-Fahrzeit mit der PKW-Fahrzeit konkurrieren kann.

 

2) Weitere Vorteile des SBT:

 

-    Verkürzung der Semmering-Strecke von 41 auf 27 km.

-    Geringe durchschnittliche Steigung (8,4 %o) – nur eine Lokomotive für 1.600-Tonnen-Güterzüge nötig.

-    Hohe Schnellzug-Geschwindigkeit (230 km/h Entwurfsgeschwindigkeit) – Gloggnitz-Mürzzuschlag in 15 Minuten

-    Viergleisigkeit des Semmering-Abschnittes.

-    Zweiröhriger Tunnel für hohe Sicherheit, aber auch bei hohen Kosten (3,3 Milliarden Euro).

-    Mit dem Semmering-Basistunnel wird der Flaschenhals der Baltisch-Adriatischen Achse entschärft.

 

 

Semmering-Basistunnel (Zweites Projekt)

Graphik: Höbarth

 

 

 

3) Die drei Vorschlägen, die für die Bahnverbindung Wien-Graz als Alternativen zum SBT gemacht wurden, sind mit schwerwiegenden Nachteilen behaftet:

 

3.1 Ausbau der Raaber Bahn („Kukuruzbahn“), also der Bahnstrecke über Westungarn (Wien-Sopron-Szombathely-Szentgotthard-Graz).

Vorteil: einfache Topographie, geringe Ausbaukosten.

Nachteile: für Wien-Graz deutlicher Umweg, noch längere Fahrzeit als derzeit über den Semmering; Probleme wegen des gespannten politischen Verhältnisses zwischen Österreich und Ungarn; Umfahrung von Österreich (Baumaßnahmen im Ausland würden für Österreich keine Verbesserungen bei der Erreichbarkeit bringen).

 

 

Semmeringbahn (gelb) und zwei so genannte Alternativen

Graphik: Höbarth

 

 

3.2 Ausbau der Aspang-Bahn („Semmering-Bypass“), also jener Bahnlinie, die ab Wiener Neustadt über Aspang, Friedberg, Hartberg und Fürstenfeld knapp westlich der burgenländischen Grenze verläuft und über Gleisdorf nach Graz führt.

Vorteil: Abbau von Erreichbarkeitsdefiziten in ländlichen Regionen.

Nachteile: für Wien-Graz deutlicher Umweg (der allerdings durch Lückenschluss Waltersdorf-Gleisdorf entlang der A 2 verkürzt werden kann); kurvenreiche Strecke in schwieriger Topographie (Bucklige Welt, Wechsel), daher kostspieliger Ausbau.

 

3.3 Errichtung einer neuen Hochleistungsstrecke, der so genannten „Südost-Spange“, über das Burgenland und die Oststeiermark.

Vorteile: deutliche Fahrzeitverkürzung; Abbau von Erreichbarkeitsdefiziten in ländlichen Regionen.

Nachteil: völlig neue Strecke durch Hügelland, daher kostspielig.

 

 

Korridor-Untersuchungen zur Südost-Spange Wien-Graz, die als Hochleistungsstrecke über das Burgenland und die Oststeiermark verlaufen würde, und zur Koralmbahn (grüne Felder).

Quelle: Broschüre „Eisenbahn-Hochleistungsstrecken AG (HL-AG)“, 1996

 

Die Realisierung einer dieser drei oben genannten Alternativen würde bedeuten, dass es keinen SBT geben würde. Dadurch würde der dichte obersteirische Siedlungs- und Wirtschaftsraum benachteiligt werden. Die Benachteiligung würde sich auch auf das Gebiet des „Kärntner Astes“ der Südbahn (Bruck - Leoben - Knittelfeld - Judenburg - Neumarkter Sattel - St. Veit - Klagenfurt) erstrecken. Welche negativen Folgen sonst noch zu beklagen sind, ist in Punkt 5 dargestellt.

 

 

4) Die derzeitige Südbahn bedient wichtige Siedlungs- und Wirtschaftsräume in der Obersteiermark:

 

Die oben genannten Alternativ-Vorschläge berücksichtigen nicht, dass der dicht besiedelte obersteirische Siedlungs- und Wirtschaftsraum in der Mur-Mürz-Furche liegt und somit an der derzeitigen Südbahn (nennen wir sie „Semmering-Südbahn“) – und nicht an den oben genannten Alternativ-Strecken.

 

Würde man statt der Semmering-Südbahn die Bahnstrecke über Westungarn oder die Aspang-Bahn ausbauen oder die Südost-Spange errichten, so würde man abseits dieses wichtigen obersteirischen Raumes investieren.

 

Die Aspang-Bahn auszubauen wäre zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber doch nicht als Alternative zum SBT und zur derzeitigen Südbahn! Dasselbe gilt für die Bahnlinie über Westungarn. Dem Semmering und der Semmering-Südbahn ist Ausbau-Priorität einzuräumen!  

Die Baltisch-Adriatische Achse und die Pyhrn-Schober-Achse bilden zwischen Bruck an der Mur und südlich von Graz eine Einheit.

 

5) Ganzheitlich-vernetzendes Denken und Planen spricht für die Semmering-Südbahn, denn ihr Ausbau ermöglicht Synergieeffekte zugunsten der Relationen Graz-Linz, Graz-Salzburg und Graz-Innsbruck:

 

Es ist sehr hilfreich, den Ausbau der Südbahn einmal nicht von der Wiener Perspektive aus zu sehen, sondern aus der Sicht des Nordens und Westens Österreichs.

 

Denn aus oberösterreichischer, Salzburger und Tiroler Sicht ist es wichtig, dass die Semmering-Südbahn ausgebaut wird, also die bestehende Südbahnstrecke und nicht eine alternative Strecke. Die Konzentration auf die Semmering-Südbahn bedeutet nämlich, dass auch für den Südbahn-Abschnitt zwischen Bruck a. d. Mur und Graz Ausbau-Planungen stattfinden werden, und zwar in Richtung Dreigleisigkeit (oder sogar Viergleisigkeit). Warum? Hier bilden sowohl der „steirische Ast“ der Südbahn (Südbahn Richtung Graz und Slowenien) als auch die Pyhrn-Schober-Achse und nach Fertigstellung der Koralmbahn die Baltisch-Adriatische Achse eine Einheit. Hier verkehren nicht nur die Züge Wien-Graz, Graz-Linz/Salzburg/Innsbruck und die internationalen Züge der Pyhrn-Schober-Achse, sondern hier werden unter Nutzung der Koralmbahn auch die Züge Wien-Graz-Klagenfurt-Villach-Italien und die Züge der internationalen Baltisch-adriatischen Achse verkehren.

 

Wenn man von massiver Verkehrsverlagerung von der Straße zur Schiene ausgeht und berücksichtigt, dass die beiden internationalen Achsen Verbindungen mit ehemaligen Ostblockstaaten darstellen, wo im Zuge des Aufholprozesses eine Verkehrszunahme – national und international – stattfinden wird, so ist im Bahn-Abschnitt zwischen Bruck an der Mur und Graz mit deutlich steigendem Bahnverkehrsaufkommen zu rechnen. Dieser Tatsache muss durch Ausbauplanungen für ein drittes (und viertes) Gleis entsprochen werden.

 

Mit diesem neuen Gleis (neuen Gleisen) können die Murtal-Mäander durch Tunnelführungen abgeschnitten werden, und das dichte Siedlungsgebiet Gratkorn/Gratwein kann mit einem Tunnel zwischen Peggau/Deutschfeistritz und Graz umfahren werden. Somit werden durch höhere Geschwindigkeiten und Streckenverkürzungen wesentlich kürzere Fahrzeiten möglich.

 

So entstehen also mit diesem Ausbau des Abschnittes Bruck-Graz Synergieeffekte: Es profitieren davon nicht nur die Schnellzugrelation Wien-Graz und die Baltisch-Adriatische Achse, sondern auch die Pyhrn-Schober-Achse und die IC-Relationen Graz-Linz/Salzburg/Innsbruck in Form von Fahrzeitverkürzungen.

 

Diese Synergieeffekte könnten weder mit dem Ausbau der Bahnlinie über Westungarn noch mit dem Ausbau der Aspang-Bahn noch mit der Südost-Spange erreicht werden. 

 

Baltisch-Adriatische Achse

Graphik: Mappe "ÖBB Infrastruktur", 2010

 

 

Pyhrn-Schober-Achse

Graphik: Broschüre "Die Pyhrn-Schober-Achse - Bindeglied im wachsenden Europa", Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, 2011