10. Mai 2014: Zwei-Klassen-Bahn
Es ist einerseits eine gute Nachricht, dass laut jüngsten Daten Herr und Frau Österreicher im Jahr 2013 im Schnitt um knapp 3 % mehr Kilometer per Bahn unterwegs waren als im Jahr davor. Man achte aber andererseits auf die Ergänzung „im Schnitt“! Denn sieht man hinter die Fassade, so wird klar, dass sich der Umstieg von Autofahrern auf die Bahn vor allem auf die Westbahnstrecke Wien-Linz-Salzburg beschränkt. Denn dort passt die Qualität des Angebots.
Auf dem Westbahnabschnitt Wien-Linz-Salzburg verkehren in einer Stunde drei Schnellzüge pro Richtung, davon einer vom ÖBB-Konkurrenten WESTBAHN. Durch hohe Geschwindigkeiten werden Fahrzeiten erreicht, die mit den PKW-Fahrzeiten auf der Westautonahn A 1 mithalten können, ja sogar kürzer sind.
Auf der Westbahnstrecke gab es in den letzten 20 Jahren laufende Verbesserungen durch schrittweisen Ausbau. Zwischen Wien-Hütteldorf und Linz ist die Strecke fast durchgehend viergleisig und bis Attnang-Puchheim selektiv viergeisig. Der Tunnelanteil liegt beim dritten und vierten Gleis zwischen Wien-Hauptbahnhof (ehemaliger Südbahnhof) und Attnang-Puchheim bereits bei ca. 50 Kilometern. Weitere Ausbauten sind vorgesehen, vor allem zwischen Linz und Salzburg.
Auf anderen Hauptstrecken sieht das Angebot schon schlechter aus. Am schlimmsten ist die Situation auf den Relationen Linz-Graz und Innsbruck-Graz (über Saalfelden) mit bloß je zwei durchgehenden, langsamen „Schnell“-Zügen pro Richtung und Tag.
Die langen Fahrzeiten haben mit der Infrastruktur zu tun. Sie ist z. T. stark rückständig. So befahren die Schnellzüge Salzburg-Graz und Innsbruck-Graz zwischen Bischofshofen und Selzthal (zwischen Radstadt und Selzthal im oberen Ennstal) eine lediglich eingleisige, kurvenreiche Strecke. Zwischen Linz und Graz ist der Abschnitt Linz-Selzthal am schwierigsten, weil er auch noch weitgehend eingleisig ist – und zwischen Kirchdorf und Selzthal außerdem extrem kurvenreich und daher nur für 70 km/h geeignet.
Die Aktivitäten von ÖBB und Verkehrspolitik konzentrieren sich in erster Linie auf die Westbahnstrecke und auf die Südbahn (Koralmbahn, Semmeringtunnel), also auf die Bahnverbindungen zwischen Wien und den Landeshauptstädten. Dies wäre an sich in Ordnung, wenn es für die übrigen innerösterreichischen Bahnstrecken des hochrangigen Netzes auch Ausbaupläne gäbe, die langfristig Schnellzugtauglichkeit vorsähen. Das heißt, wenn mittel- und langfristig auch für die Verbindung der Landeshauptstädte untereinander (auch Graz-Linz, Graz-Salzburg, Graz-Innsbruck/Bregenz) attraktive Schnellzugverkehre vorgesehen wären und entsprechende Ausbaupläne existierten. Auf einer solchen Basis könnte dort, wo sowieso gebaut werden muss (z. B. Erneuerung des Oberbaus und von Brücken), aufwärts kompatibel vorgegangen werden, also diese Abschnitte gleich im Sinne des Ausbauplanes erneuert werden. Der Ausbau würde zwar nur langsam fortschreiten, wäre aber leichter finanzierbar.
Wie sieht aber die Realität aus?
Ein Beispiel: Am 1. Juli 2013 wurde auf der Pyhrnbahn damit begonnen, die Vorbereitungen zu treffen, um die aus dem Jahre 1905 stammenden Stahl-Fachwerkbrücken über die Steyr und die Teichl (Gemeinden Klaus und St. Pankraz, Bez. Kirchdorf an der Krems) durch Betonbrücken zu ersetzen – und zwar leider nur eingleisig und nur in der bestehenden 70-km/h-Linie, also ohne in diesem Bereich den kurvenreichen Linienverlauf im Sinne von Schnellzugtauglichkeit zu verflachen.
Das ist Ausbau nach zweierlei Maß: Optimaler Ausbau der Weststrecke und Südbahn, ansonsten in der Regel bloße Erhaltung des Bestandes. Mit den beiden Pyhrnbahnbrücken werden auch für die nächsten 100 Jahre in Beton gegossene Tatsachen geschaffen, die nur 70 km/h zulassen. Es hätte die Möglichkeit bestanden, diese beiden Brücken (Länge 200 m bzw. 110 m, Gesamtkosten 18,7 Mio. Euro) für zwei Gleise und im Sinne einer schnellzugtauglichen Linienführung zu bauen. Aber Kleinkariertheit und Kurzsichtigkeit haben gesiegt. Leider!
Es geht nicht nur darum, nur die Landeshauptstädte durch attraktiven Bahnverkehr zu verbinden, sondern auch darum, die Räume zwischen den Landeshauptstädten durch moderne Bahn-Infrastruktur zu gestalten, sozialen und regionalen Ausgleich zu ermöglichen und auch in ländlich-peripheren und inneralpinen Regionen attraktiver öffentlichen Verkehr mit der Bahn als Rückgrat zur Verfügung zu stellen.
Deshalb ist es wichtig, sich gegen die abwertende, ausgrenzende und auf fragwürdigen Fahrgast-Zählungen basierende Argumentation von ÖBB und Verkehrsministerium, wie sie im „Zielnetz 2025+“ zum Ausdruck kommt ("zu wenig Nachfrage", "zu geringes Potenzial", "Abwanderungsgebiete"), zur Wehr zu setzen. Die inneralpinen Bahnlinien, wie z. B. die Pyhrnbahn Linz-Selzthal, sind ja nicht nur Teile von Verbindungen zwischen Landeshauptstädten, sondern auch Lebensadern für periphere inneralpine Räume. Die inneralpinen Bahnlinien sind Basis bereits vorhandener, klimafreundlicher E-Mobilität.
Das „Zielnetz 2025+“ ist als Ziel völlig inakzeptabel:
Das „Zielnetz 2025+“ sieht für den Abschnitt Linz-Selzthal leider nur eine Kantenzeit von 80 Minuten vor (derzeit 90 Minuten) und für Selzthal-Graz (über die Brucker Schleife) nur 85 Minuten (derzeit ebenfalls 90 Minuten). Zusammen sind das 165 Minuten oder 2 3/4 Stunden (derzeit drei Stunden). Zum Vergleich: auf der Pyhrnautobahn A 9 legt man die Strecke Linz-Graz (225 km) mit dem PKW in zwei Stunden zurück. Für den Streckenabschnitt Kirchdorf-Selzthal plant das „Zielnetz 2025+“ nur drei mehr oder weniger lange zweigleisige Abschnitte, ansonsten wird es hier weiterhin weitgehende Eingleisigkeit geben. Offizielles Ziel: „Nahverkehr Richtung Linz und Güterverkehr“, aber keine Rede vom Schnellzugverkehr Linz-Graz. Der magere Ausbau wird von Seiten des Verkehrsministeriums und der ÖBB mit der geringen Nachfrage im Personenverkehr begründet.
Dabei ist aber die relativ geringe Nutzung der Pyhrnbahn und der Bahnrelation Linz-Graz eine Folge unattraktiven Angebots.
Die Zählungen auf der Pyhrnautobahn A 9 im gering frequentierten ASFINAG-Zählpunkt Spital/Pyhrn ergeben im Schnitt fast 10.000 Kfz. <3,5 Tonnen pro Tag zusammen in beiden Richtungen. Tendenz steigend (November 2010: 8.818 Kfz., Jänner 2013: 9473 Kfz.). Also potentielle Nachfrage ist vorhanden!
Nicht nur für die Pyhrnbahn ist das „Zielnetz 2025+“ ein Schaden, sondern für fast den gesamten inneralpinen Raum:
Dieses „Zielnetz 2025+“ wurde in der Pressekonferenz vom 19. 9. 2011 von Ministerin Bures und den Vorständen der ÖBB Christian Kern und Andreas Matthä präsentiert und hat folgende „Doktrin“ als Basis: „Die Bahn als Massenverkehrsmittel hat dort große Vorteile, wo viele Menschen und Güter zu befördern sind. Diese Bahnlinien gilt es durch Investitionen in die Infrastruktur zu stärken und weiter auszubauen. Anderseits werden die Investitionen dort reduziert, wo nur wenige Menschen und Güter befördert werden können, weil das Potenzial für eine weitere Verkehrsverlagerung nicht gegeben ist. Investitionen erfolgen demnach "systemadäquat" - dem "System Bahn" angemessen.“
Das Endresultat dieser Argumentation ist eine „Zwei-Klassen-Bahn“: Optimale West- und Südbahnstrecke, ansonsten „Restbahn“.
Notwendigkeit eines durchgehenden zweiten Pyhrnbahn-Gleises:
Um massive Verkehrsverlagerung zu ermöglichen bzw. stimulieren zu können (attraktiver Personennah- und -regionalverkehr mit Stundentakt als Mindestfahrplandichte, attraktiver IC-Verkehr Linz-Graz im Stundentakt, zunehmender Güterverkehr), muss die Kapazität der Pyhrnbahn durch ein zweites Gleis erhöht werden. Damit die Güterzüge ohne Ausweichhalte durchfahren können und daher das Energieeffizienz-Potenzial der Schiene voll nützen können, ist ein durchgehendes zweites Gleis nötig, und zwar auch in der Pyhrn-Priel-Region, also zwischen Kirchdorf und Selzthal (Güterzug-Ausweichhalte sind Energievernichtung, weil jedes Mal die gesamte Masse wieder in Bewegung gesetzt werden muss).
Mit Errichtung des zweiten Gleises Schnellzugtauglichkeit anstreben:
Mit der Errichtung eines zweiten Gleises soll die Chance genutzt werden, die Attraktivität der Pyhrnbahn wesentlich zu heben, indem das zweite Gleis in flacher Linienführung schnellzugtauglich trassiert wird und das Bestandgleis je nach Möglichkeit mit dem neuen Gleis begradigt bzw. verflacht wird, also parallel mit dem Neugleis geführt wird (wie zwischen Kremsmünster und Kirchdorf zum Teil schon realisiert). Zwischen Kirchdorf und Selzthal, also im inneralpinen Raum, kann es aus topographischen Gründen sinnvoll sein, das durchgehende, schnellzugtaugliche Gleis abschnittsweise getrennt vom Bestandgleis zu führen.
Notwendig ist ein langfristiger, schnellzugtauglicher Ausbauplan für das hochrangige Bahnnetz Österreichs, der weit über das „Zielnetz 2025+“ hinausreicht. Er muss so bald wie möglich erstellt werden:
Aus Kostengründen kann ein derartiger Plan nur in kleinen Schritten umgesetzt werden, und zwar in erster Linie dort, wo ohnehin Baumaßnahmen nötig bzw. geplant sind. So ist z. B. die Errichtung eines neuen Bosrucktunnels geplant. Dabei muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Planungen mit dem geforderten schnellzugtauglichen Ausbauplan übereinstimmen.
Ein langfristiger, schnellzugtauglicher Ausbauplan ist auch deshalb so wichtig und dringlich, weil ein Korridor von Verbauung freigehalten werden muss.