Kontrollierte Kettenreaktion in einem Atomkraftwerk (AKW)
1) Ein AKW besteht aus
- Atomreaktor: dickwandiges Reaktordruckgefäß (Kessel) mit eingebautem Reaktorkern (Brennelemente) und mit Wasserfüllung
- Wasserdampfleitung, Dampfturbine, Generator
- Kondensator: Der Dampf wird in einem Wärmetauscher kondensiert (Wärmeentzug durch Kühlwasser oder durch riesige Ventilatoren), und das Kondenswasser wird wieder zurückgepumpt (geschlossener Kreislauf).
- Sicherheitssysteme (z. B. Notstromaggregate und Notkühlsysteme)
- Brennelement-Lagerbecken (Lagerung der „abgebrannten“ Brennelemente, in denen die Spaltprodukte als radioaktiver Müll enthalten sind und ständig gekühlt werden müssen)
Schnitt durch ein Atomkraftwerk mit Siedewasserreaktor
Bild aus der Broschüre „Energie von der man spricht. Was man über Kernkraftwerke wissen muss“, hgg. von Deutsches Atomforum e. v., Bonn 1974
2) Kettenreaktion im AKW:
Normalerweise dient in einem AKW das Uran-Isotop U-235 als spaltbares Material, und zwar chemisch gebunden mit Sauerstoff zu Urandioxid. Seine Konzentration beträgt nur 3 bis 5 %, der überwiegende Rest ist U-238-Dioxid. U-238 ist nicht spaltbar.
Der Atomreaktor wird ab dem Moment, da die sich selbst erhaltende Kernspaltung einsetzt, als „kritisch“ bezeichnet. Die Kernspaltung kann nicht wie in der Atombombe sprungartig anschwellen, sondern pendelt sich bei niedrigem Niveau auf konstanter Geschwindigkeit ein. Das heißt z. B., dass von den bei 100 Spaltungen entstehenden 200 bis 300 freien Neutronen gerade 100 Neutronen („Spaltneutronen“) wieder neue Spaltungen verursachen.
3) Die Kettenreaktion in einem AKW braucht einen „Moderator“:
Damit bei der geringen Konzentration von U-235 dessen Atomkerne in ausreichender Zahl mit freien Neutronen kollidieren können, müssen diese Neutronen gebremst („moderiert“) werden. Als „Moderator“ dient das Wasser, das sich im Reaktor-Druckgefäß befindet und die Brennelemente umgibt.
Als Moderatoren können auch Graphit oder Schwerwasser eingesetzt werden (Schwerwasser ist auch H2O, aber das H ist das Wasserstoffisotop Deuterium).
4) Brennelemente („Verpackung“ des Urans) in einem AKW am Beispiel der Brennelemente, wie sie im Siedewasserreaktor von Zwentendorf verwendet worden wären:
Zusammenbau von Brennelementen. Im Hintergrund ein fertiges Brennelement.
Foto aus Broschüre „Energie von der man spricht. Was man über Kernkraftwerke wissen muss“, hgg. von Deutsches Atomforum e. v., Bonn 1974
Die Uran-Sauerstoff-Verbindung Urandioxid wird zu Tabletten geformt (ca. 1,2 cm Durchmesser; 3 bis 5 % U-235, 95 bis 97 % U-238). Diese Tabletten werden in ca. 4,5 m lange, mit Helium gefüllte Röhrchen aus Zirkonium geschlichtet, wobei oben etwas Raum für gasförmige Spaltprodukte freigelassen wird. Die Röhrchen werden gasdicht verschweißt und heißen ab nun „Brennstäbe“. Je 49 Brennstäbe ergeben ein viereckiges Bündel, das „Brennelement“. Abstandhalter müssen verhindern, dass die Brennstäbe einander berühren. Gewicht eines Brennelements: 277 kg.
Im Reaktordruckgefäß (Kessel aus 20 cm dickem Stahlblech, 5,4 m Durchmesser, 21 m Höhe) werden 484 Brennelemente senkrecht in ein Gitter gehängt. Die Gesamtheit der Brennelemente wird „Reaktorkern“ genannt.
Jedes Brennelement, ja jeder Brennstab muss von Wasser umgeben sein. Nachdem das Reaktordruckgefäß oben mit dem schweren Deckel und riesigen Schrauben und Muttern verschlossen worden ist, wird mit der Kernspaltung begonnen, ausgelöst durch „Beschuss“ der Brennelemente mit Neutronen. Bei jeder Kernspaltung schießen Neutronen weg, die andere Urankerne treffen und diese spalten. Sobald sich die Kernspaltung von selber fortsetzt (Kettenreaktion), benennt man diesen Zustand als „kritische“; der Reaktor ist somit kritisch geworden. Dabei werden das umgebende Wasser und die Urandioxid-Tabletten selber heiß. Schließlich wird unter sehr hohem Druck (72 bar) eine Wassertemperatur von 287oC erreicht. Der Dampf treibt eine Dampfturbine an.
5) Steuerung der Kettenreaktion im AKW:
Die Kernspaltung regelt sich zunächst selber, denn die Konzentration des U-235 ist mit 3 bis 5 % so gering, dass eine bestimmte Geschwindigkeit nicht überschritten werden kann.
Um die Kernspaltung drosseln zu können, besteht die Möglichkeit, dass – je nach Reaktor-Bauart – von der Unter- oder Oberseite des Reaktordruckgefäßes „Steuerstäbe“ („Bremsstäbe“) maschinell zwischen die Brennelemente geschoben werden. Diese Hohlstäbe sind mit Cadmium oder Bor gefüllt und haben die Aufgabe, einen Teil der Neutronen, die bei der Kernspaltung weggeschleudert werden, zu absorbieren, sodass sie keine weiteren Atomkerne spalten können. Je weiter die Stäbe zwischen die Brennelemente eingeschoben werden, desto mehr Neutronen werden absorbiert, und die Kernspaltung lässt nach. Will man den Reaktor abschalten, dann werden die Stäbe ganz eingeschoben.
6) Weitere stabilisierende Faktoren bei der Kernspaltung im Atomreaktor des AKW´s:
1) Selbstregelung durch den Moderator Wasser:
Die freien Neutronen stoßen mit den Wassermolekülen zusammen, geben daher Energie an das Wasser ab und gleichen sich dabei an die „thermische“ Bewegung der Wassermoleküle an. Sollte die Zahl der freien Neutronen zunehmen, sodass die Reaktorleistung steigt und sich das Wasser mehr erhitzt (d. h., dass sich die Bewegungsenergie der Wassermoleküle erhöht und sich die Abstände zwischen den Wassermolekülen auf Grund der Ausdehnung des Wassers vergrößern), so werden auch die Spaltneutronen weniger gebremst und können nur mehr weniger Atomkerne von U-235 spalten.
2) Selbstregulierung durch Absorption von freien Neutronen:
Bei höherer Temperatur werden mehr freie Neutronen als sonst von U-238-Atomkernen absorbiert (Entstehung von Pu-239 und Pu-240) und können für die Spaltung von U-235-Atomkernen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Das heißt, ein AKW kann nicht so explodieren wie eine Atombombe.
Aber es drohen andere Gefahren!
Infos zum Thema "Gefährlichkeit der AKW`s": Hier
Infos zum Thema "Radioaktivität": Hier
7) Ein AKW wird jährlich für zwei Monate abgeschaltet:
7.1 Kontrollen, Reparatur- und Wartungsarbeiten.
7.2 Ein Drittel der Brennelemente wird durch neue ersetzt.
Arbeitsschritte beim Brennelementwechsel:
Nach dem Abschalten des Reaktors (Einschieben der Steuerstäbe) muss viele Tage gewartet werden, bis die intensivste Radioaktivität (vor allem die Strahlung der kurzlebigen Isotope) und somit die Nachwärmeentwicklung etwas nachgelassen hat und der Überdruck im Dampfkessel ausreichend abgebaut werden konnte.
Nun kann der Deckel abgenommen werden. Das Reaktordruckgefäß und das darüber liegende riesige Becken werden mit Wasser geflutet. Die am stärksten abgebrannten Brennelemente, also das Drittel im Zentrum des Reaktorkerns, müssen aus dem Reaktorkern gehoben werden. Mit einem Teleskopkran wird ein abgebranntes Brennelement nach dem anderen aus dem Gitter gehievt, unter Wasser (Kühlung!) zum Brennelement-Lagerbecken transportiert und dort abgesetzt.
Wenn das Drittel aus dem inneren Bereich des Reaktorkerns entfernt ist, werden die äußeren Brennelemente (sind noch nicht so stark „abgebrannt“) nach innen nachgerückt. Im äußeren Bereich des Gitters werden nun neue Brennelemente eingehängt.
Blick von oben in das geöffnete Reaktor-Druckgefäß, rechts der Teleskopkran für den Brennelementwechsel.
Foto aus Broschüre „Energie von der man spricht. Was man über Kernkraftwerke wissen muss“, hgg. von Deutsches Atomforum e. v., Bonn 1974
„Abgebrannt“ heißt nicht, dass die Brennelemente im herkömmlichen Sinne einer Verbrennung ausgesetzt waren, sondern dass in diesen Brennelementen die Spaltung der Atome vom Uran-235 am weitesten fortgeschritten ist.
8) Reaktortypen
8.1 Leichtwasser-Reaktoren
Als Moderator und als Mittel zur Hitzeübertragung wird normales Wasser verwendet.
a) Druckwasser-Reaktor:
Dies ist der häufigste Reaktortyp.
Er hat zwei Kreisläufe. Im ersten zirkuliert das im Reaktordruckgefäß erhitzte Wasser. Damit sich kein Dampf bilden kann, steht dieses Wasser unter sehr hohem Druck (ca. 140 bar). Dieses extrem heiße Wasser gibt seine Energie im Dampfkessel über einen riesigen Wärmetauscher an den zweiten Kreislauf ab. Der Dampf wird, nachdem er seine Energie auf die Turbine übertragen hat, im Kondensator wieder zu Wasser und als solches in den Dampfkessel zurückgepumpt. Der zweite Kreislauf ist somit geschlossen. Die für die Kondensation nötige Kühlung erfolgt über einen Kühlturm oder mit Kühlwasser von einem nahen Fluss oder über eine Luftkühlung mit riesigen Ventilatoren.
a) Siedewasser-Reaktor:
Dies ist der zweithäufigste Reaktortyp. Das nie in Betrieb gegangene AKW Zwentendorf ist mit einem Siedewasserreaktor ausgestattet. Auch bei den beiden Reaktorblöcken in Fukushima, in denen sich am 11. März 2011 ein Super-GAU ereignete, waren Siedewasser-Reaktoren.
In diesem Reaktor siedet das Wasser an den Brennelementen, und der Dampf wird direkt vom Reaktordruckgefäß über die Dampfleitung zur Turbine geleitet. Der Betriebsdruck liegt bei 70 bar. Dieser Reaktortyp ist mit dem Nachteil behaftet, dass mehr Radioaktivität zur Turbine gelangen kann als beim Druckwasser-Reaktor.
8.2 Schwerwasser-Reaktoren:
Diesen Typ gibt es fast nur in Kanada, Indien, Rumänien und Argentinien.
Es handelt sich um einen Druckwasser-Reaktor, der nicht mit normalem Wasser, sondern mit Schwerwasser betrieben wird. Das ist Wasser, das sich aus Deuterium und Sauerstoff zusammensetzt (D2O). Deuterium ist jenes Wasserstoff-Isotop, das im natürlichen Wasserstoff nur zu 0,015 % enthalten ist.
Wasserstoff (Hydrogenium, H) existiert in der Natur in dreifacher Form (3 Isotope):
- H-1: „leichter Wasserstoff“, „Protium“, im Atomkern des H-1-Atoms nur ein Proton, Anteil am natürlichen Wasserstoff: 99,985 %
- H-2: auch „D-2“, „schwerer Wasserstoff“, „Deuterium“, im Atomkern ein Proton und 1 Neutron, Anteil am natürlichen Wasserstoff: 0,015 %
- H-3: auch „T-3“, „überschwerer Wasserstoff“ „Tritium“, im Atomkern ein Proton und 2 Neutronen, radioaktiv, im natürlichen Wasserstoff nur in kleinsten Spuren enthalten
8.3 Graphit-Reaktoren:
In diesen Reaktoren übernimmt Graphit die Moderator-Funktion.
a) Gas-Graphit-Reaktoren:
Einsatz vor allem in Großbritannien. Die Übertragung der Hitze vom Reaktor zum Dampfkessel übernimmt ein Gas, das CO2 sein kann oder in Hochtemperaturreaktoren Helium.
b) Leichtwasser-Graphit-Reaktoren:
Solche Reaktoren sind im Gebiet der ehemaligen UdSSR verbreitet (in Tschernobyl passierte am 26. April 1986 im 4. Reaktor der Super-GAU). Es handelt sich dem Prinzip nach um einen Siedewasserreaktor, dessen Dampfkessel (Reaktordruckgefäß) nicht die übliche kompakte Form aufweist, sondern aus Röhren besteht. Die Brennelemente eines solchen Reaktors stecken in den von Wasser durchströmten Röhren, die einen Graphitblock senkrecht durchziehen. Die Röhren sind untereinander verbunden und bilden in ihrer Gesamtheit gleichsam den Dampfkessel.
8.4 Schnelle Brüter (Brutreaktoren):
Um das Problem zu lösen, dass im Natur-Uran der Anteil des spaltbaren Urans-235 nur bei 0,7 % liegt und daher beim spaltbaren Uran ein Verknappung droht, will die Atomlobby aus dem nicht spaltbaren Uran-238 das spaltbares Material Plutonium-239 erzeugen.
Dies soll dadurch geschehen, dass ein herkömmlicher Atomreaktor mit einem „Mantel“ aus Uran-238 umgeben wird. Im Reaktorkern drinnen können nur moderierte (verlangsamte) Neutronen die Kettenreaktion aufrecht erhalten. Aber jene Neutronen, die nach außen emittiert werden, sind nicht moderiert (nicht verlangsamt) und wirken als schnelle Neutronen auf das Uran-238 im Mantel. Sie wandeln Atomkerne vom nicht spaltbaren Uran-238 in spaltbare Atomkerne von Plutonium-239 um.
Der Name „Schneller Brüter“ kommt von den schnellen Neutronen, die die Umwandlung eines Teiles von U-238 in Plutonium bewirken.
Die Grundidee des Schnellen Brüters besteht darin, mehr Spaltmaterial in Form von Plutonium-239 zu erzeugen als er selbst (zunächst Uran-235, dann Plutonium-239) verbraucht und somit das Problem der Knappheit bei U-235 zu lösen.
Statt Uran-238 kann als Brutmantel auch das natürliche Thorium-232 verwendet werden, woraus Uran-233 (das es in der Natur überhaupt nicht gibt) erbrütet werden kann. Plutonium-239 und Uran-233 gleichen in ihren Kerneigenschaften dem Uran-235.
Die Probleme dieses Reaktortyps zeigen sich deutlich beim einzigen großen Brüter, dem Superphenix in Creys-Malville, Frankreich, der mehrmals wegen Lecks im Kühlkreislauf seinen Betrieb einstellen musste. Wegen der besonderen Anforderungen beim technischen Einsatz von Natrium, dem einzigen Kühlmittel, das praktisch für den Brüter in Frage kommt, sind die Anlagenkosten hoch.
Schematische Darstellung von Reaktortypen:
9) Wiederaufbereitung
Die abgebrannten Brennelemente bleiben mindestens ein Jahr im Brennelement-Lagerbecken des AKW´s, in dem sie im Einsatz waren. Dann werden sie unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in die Wiederaufbereitungsanlage transportiert. In Westeuropa sind dies die in der Normandie am Kanal gelegene französische Anlage in La Hague und die britische Anlage in Sellafield an der Irischen See im NW Englands.
Der Nuklearkomplex in Sellafield (früher Windscale) wurde durch einen katastrophalen Brand 1957 und durch häufige nukleare Störfälle bekannt und unter anderem deshalb auch von Windscale in Sellafield umbenannt. Auf dem Gelände des Komplexes befindet sich auch das AKW Calder Hall, das als erstes westliches AKW Strom in ein kommerziales Netz einspeiste.
In der Wiederaufbereitungsanlage werden die Brennelemente in einem Reißwolf geschreddert und dann in Salpetersäure aufgelöst. Die noch brauchbaren Isotope werden abgesondert, und zwar das Uran und das Plutonium-239. Radioaktive Abwässer gelangen ins Meer.
Der Rest der flüssigen Brühe wird in großen Tanks gelagert. Dort ist eine Rühranlage in Betrieb, um Konzentrationen und unkontrollierte Erwärmung zu vermeiden. Die Tanks sind starker Korrosion ausgesetzt, Lecks sind möglich. Nach einiger Zeit wird die Brühe eingedampft, wobei Emissionen radioaktiver Stoffe unvermeidlich sind. Schließlich werden die feststofflichen Reste in Glaspellets eingeschmolzen.
10) Atommüll-Lagerung
Der hochaktive Atommüll (Brennelemente-Müll) ist für Jahrhunderte sehr gefährlich und für Jahrtausende gefährlich.
Zwischenlager:
In freier Luft werden auf gesichertem Gelände entweder die abgebrannten Brennelemente als Ganze oder die von der Wiederaufbereitungsanlage antransportierten Glaspellets in Behältern gelagert. Die Lagerungsdichte darf nur so hoch sein, dass ausreichend Kühlung gewährleistet ist. Denn die langlebige Radioaktivität bewirkt für sehr lange Zeit fortdauernde Erwärmung.
Endlagerung:
Für absolute Unzugänglichkeit (Diebstahl) und für absolute Vermeidung von Wassereintritt muss gesorgt werden. Und dies für Jahrtausende!
11) Weltweit betreiben 30 Länder 433 AKW´s
Übersicht nach Ländern – siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Kernenergie_nach_L%C3%A4ndern#.C3.9Cbersicht
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F. d. I. v.: Heinrich Höbarth