Projekt 1/2013

 

 

Ein Plädoyer für die Koralmbahn

 

 

Man gilt als Verrückter und Träumer, wenn man es wagt, sich in Zeiten des Neoliberalismus, des knappen Geldes und des schlechten Images der ÖBB Gedanken darüber zu machen, was denn beim System Bahn alles geschehen müsste, um den künftigen Anforderungen zu entsprechen. Regiert doch gegenwärtig der Sparstift. Wie und wo ausgebaut wird bzw. wo Betriebseinstellungen oder Streckenstilllegungen vorgenommen werden, diktieren entweder mächtige Politiker, oder es entscheiden derzeitige Fahrgastfrequenzen bzw. Güterströme.

 

Zur Koralmbahn überwiegen die negativen Wortmeldungen: „Zu teuer!“, „Nicht notwendig!“, „Rechnet sich nicht!“, „Absurdes Tunnelprojekt!“, „Prestigeprojekt!“, „Die Attraktivierung des Nah- und Regionalverkehrs ist wichtiger als die Koralmbahn!“ Usw. Solche und ähnliche Aussagen hört man selbst von höchsten Stellen und prominenten Personen, ja selbst aus Fachkreisen.

 

In diesem Zusammenhang ergeben sich einige Fragen: Haben sich die Gegner der Koralmbahn ausreichend mit der Materie befasst, oder sprechen sie nur nach, „was man so allgemein über die Koralmbahn sagt“? Ist die Koralmbahn die beste aller möglichen Varianten? Wenn attraktive Bahnverbindungen wichtig sind, um Verkehrsverlagerung zur Schiene zu ermöglichen, ist es dann legitim, die Frage nach der Finanzierbarkeit des Bahnausbaus so sehr in den Vordergrund zu stellen? Ist nicht der Ausbau der Regionalbahnen wichtiger als die Optimierung der Schnellzugverbindungen?

 

Es ist höchste Zeit, sich mit diesen Fragen genauer zu befassen, was mit den folgenden Ausführungen versucht werden soll.

 

 

1) Bahnausbau ist grundsätzlich als volkswirtschaftlich sinnvoll einzustufen:

 

Aus ökologischer und sozialer Sicht ist das System Bahn als Rückgrat des öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV) und als Verkehrsträger für Gütertransporte ein essentieller Bestandteil eines modernen Staates. Damit es zu einer massiven Verkehrverlagerung zur Schiene bzw. zum ÖPV kommen kann, muss die Verkehrspolitik dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen entsprechend geändert werden und die Schienenkapazität erweitert wird. Der Bahnausbau, durch den veraltete Strukturen verbessert werden, Kapazitätsengpässe beseitigt werden, Erreichbarkeitsdefizite abgebaut werden und ganzheitlich-integrative Vernetzung angestrebt wird, ist somit grundsätzlich als volkswirtschaftlich sinnvoll einzustufen. Das System Bahn ist ein Gemeinwohl- und Nachhaltigkeitssystem. Daher dürfen bei der Prüfung von Projekten nicht nur rein ökonomische Aspekte eine Rolle spielen, sondern es müssen auch ökologische, soziale, regionale und volkswirtschaftliche Komponenten berücksichtigt werden. Bei den konkreten Planungen und Durchführungen ist auf Wirtschaftlichkeit zu achten.

 

 

2) Landeshauptstädte sowohl mit Wien als auch untereinander durch attraktiven Schnellzugverkehr verbinden:

 

Die Antwort auf die Frage, ob der Bahn-Nahverkehr oder der -Regionalverkehr (also der Bahnverkehr im ländlichen Raum) oder der Schnellzugverkehr am wichtigsten ist, ist ganz einfach: Sowohl, als auch! Alle drei Bahnverkehrsarten sind wichtig!

 

Unter mehreren Qualitätskriterien ist die Fahrzeit ein wichtiges Merkmal. Besonders wichtig ist sie aber für den Schnellzugverkehr, also für den Bahn-Fernreiseverkehr zwischen den Landeshauptstädten und zwischen den Staaten.

 

Um Verkehrsverlagerung zur Bahn stimulieren zu können, sind für den Bahn-Fernreiseverkehr Fahrzeiten notwendig, die mit den PKW-Reisezeiten auf den entsprechenden Straßen konkurrieren können. Dies soll im innerösterreichischen Fernreiseverkehr selbstverständlich für die Bahnverbindungen zwischen den Landeshauptstädten und Wien gelten (Weststrecke, Südbahn), aber auch für die Verbindung der Landeshauptstädte untereinander, also auch für die Relation Graz-Klagenfurt.

 

Graz-Klagenfurt: Obwohl Graz und Klagenfurt nur 82 km Luftlinie voneinander entfernt sind, muss man per Bahn derzeit einen 228 km langen Nord-Umweg über Bruck a. d. Mur und fast 3 Std. Fahrzeit in Kauf nehmen (Umsteigen in Bruck). Auch der Intercitybus braucht für die Strecke Graz-Klagenfurt mit 2 Stunden zu lang. Außerdem ist die Kapazität eines Busses begrenzt, und dessen Komfort hält sich in Grenzen.

Zum Vergleich: Auf der Südautobahn A 2 legt man mit dem PKW die 135 km zwischen Graz und Klagenfurt in gut 1 1/4 Stunden zurück.

 

Mit der Koralmbahn kommt es zu einer Streckenverkürzung auf 130 km und laut „Zielnetz 2025+“ zu einer Verkürzung der IC-Fahrzeit auf eine Stunde (bzw. 3/4 Std. im beschleunigten Fernverkehr). Somit wird die Bahn hinsichtlich Fahrzeit mit der Autobahn A 2 konkurrenzfähig.

 

Das „Zielnetz 2025+“ der ÖBB für Österreich

Quelle: „Mobilität und Transport 2025+“,  VCÖ-Schriftenreihe „Mobilität mit Zukunft“, Nr. 2/2013, Seite 35 

 

Wien-Klagenfurt: Mit der Koralmbahn (und dem Semmering-Basistunnel) kommt es auch zu einer deutlichen Verbesserung der Bahnverbindung Wien-Klagenfurt. Im derzeitigen IC-Verkehr braucht man für Wien-Klagenfurt über Leoben, Knittelfeld und Neumarkt fast 4 Stunden. Das „Zielnetz 2025+“ sieht für diese Relation über Graz und die Koralmbahn 3 Stunden vor (bzw. 2 1/2 Std. im beschleunigten Fernverkehr).

 

Zum Vergleich: Auf der Südautobahn A 2 legt man mit dem PKW die 325 km zwischen Wien und Klagenfurt in 3 Stunden zurück.

 

 

3) Wir brauchen ein ganzheitlich-integratives Bahn-Ausbauprogramm – für gerechte Verteilung und Vernetzung der Bahn-Infrastruktur

 

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Vernetzung aller Landeshauptstädte untereinander durch attraktiven Bahnverkehr wichtig ist, nicht nur die Verbindung mit Wien. Dies bedeutet, dass nicht nur für die Weststrecke und die Südbahn, sondern für das gesamte innerösterreichische hochrangige Bahnnetz entsprechende Ausbaupläne erstellt werden müssen und schrittweise umgesetzt werden müssen. Das heißt, auch für die Relationen Graz-Linz, Graz-Salzburg, Graz-Innsbruck muss Schnellzugtauglichkeit das Ziel sein.

 

Dieser Forderung entspricht das „Zielnetz 2025+“ leider nicht. Die von Infrastrukturministerin Doris Bures in der Pressekonferenz vom 19. September 2011 gemeinsam mit den Vorständen der ÖBB Christian Kern und Andreas Matthä präsentierte Doktrin besagt, die Bahn sei ein Massenverkehrmittel und werde nur dort ausgebaut, wo Massen unterwegs seien. Anderseits würden die Investitionen dort reduziert, wo nur wenige Menschen und Güter befördert werden könnten, weil das Potenzial für eine weitere Verkehrsverlagerung nicht gegeben sei. Investitionen erfolgten demnach "systemadäquat" - dem "System Bahn" angemessen.

 

Dies ist ein harter Schlag gegen den inneralpinen Raum, denn auf Basis der Ausreden „zu geringe Nachfrage“ und „Abwanderungsgebiete“ wird hier der Ausbau des hochrangigen Bahnnetzes verweigert. Die Verkehrspolitik verabschiedet sich somit von der gestaltenden Vorgangsweise, obwohl das Gestalten sehr wichtig wäre, weil Infrastruktur auch ein wichtiges Element der Raumerschließung und Raumgestaltung ist, somit Voraussetzung für Entwicklung und Prosperität und daher vor allem auch in ländlichen, inneralpinen, peripheren, strukturschwachen Regionen wichtig. Das Resultat dieser Vorgangsweise wird eine „Zwei-Klassen-Bahn“ sein: Optimales Angebot auf der Westbahnstrecke, auf der Südbahn und in/um den Ballungsräumen, ansonsten „Restbahn“ oder überhaupt Umstellung auf Busse.

 

Konkret zeigt sich diese Ungerechtigkeit darin, dass einerseits – mit Recht – die Koralmbahn als neue Hochleistungs-Neubaustrecke mit riesigem Aufwand errichtet wird, aber auf bestehenden inneralpinen Bahnlinien der Schnellzugverkehr vernachlässigt wird und Ausbaupläne in Richtung Schnellzugtauglichkeit verweigert werden.

 

Als erster Schritt dieser Verweigerung wurde 2010 der IC-Verkehr Graz-Linz eingestellt. Das war eine völlig unverständliche Vorgangsweise nach zweierlei Maß: Graz-Klagenfurt erhält eine neue Bahnstrecke und eine Schnellzugverbindung in höchster Qualität, hingegen wurde auf der bestehenden Bahnverbindung zwischen der zweit- und drittgrößten Stadt Österreichs der Schnellzugverkehr eingestellt.

 

Mittlerweile verkehren seit Mitte Dezember 2013 wieder zwei IC-Zugpaare zwischen Graz und Linz – als Folge intensiver Interventionen von Fahrgastinitiativen. Aber für den nördlichen Abschnitt der Relation Linz-Graz, der Strecke Linz-Selzthal, Pyhrnbahn genannt, verweigern Verkehrsministerium und ÖBB nach wie vor den durchgehend zweigleisigen, schnellzugtauglichen Ausbau. Im 55 km langen eingleisigen Flaschenhals zwischen Kirchdorf a. d. Krems und Selzthal sind laut „Zielnetz 2025+“ nur drei zweigleisige Abschnitte geplant, ansonsten wird hier die Pyhrnbahn nur „im Bestand erhalten“, also weiterhin eine eingleisige und kurvenreiche 70-km/h-Linie wie zu Kaisers Zeiten bleiben. Selbst bei der Erneuerung großer Brücken wird nicht an eine eventuelle Schnellzug-Zukunft gedacht. So werden z. B. derzeit um 18,7 Millionen Euro zwei größere Stahl-Fachwerkbrücken durch Betonbrücken ersetzt, und zwar in der Gemeinde St. Pankraz über die Steyr (Klaus-Stausee) und über die Teichl. Dabei wird – gegen jede Erwartung und Vernunft – die bogenreiche 70-km/h-Linienführung beibehalten, statt sie im Sinne von Schnellzugtauglichkeit zu verflachen. Eigentlich ein Skandal!

 

Als wichtiger Grund für die Errichtung der Koralmbahn wird ins Treffen geführt, dass sie nicht nur der Optimierung der Südbahn diene, sondern vor allem bedeutendes Teilstück der internationalen Baltisch-Adriatischen Achse sei. Aber auch die Pyhrnbahn ist nicht nur Teil der Verbindung Graz-Linz, sondern auch Abschnitt einer wichtigen internationalen Achse, nämlich der Pyhrn-Schober-Achse (Deutschland/Tschechien-Linz-Graz-Koper/Thessaloniki/Istanbul). Daher ist die Geringschätzung der Pyhrnbahn durch das Verkehrsministerium und durch die ÖBB auf das schärfste zu verurteilen.

 

Homogener muss das hochrangige Bahnnetz werden, nicht heterogener! Derzeit geht der Trend in Richtung „Weststrecke und Südbahn, ansonsten Restbahn“.

 

Das innerösterreichische hochrangige Bahnnetz

 

4) Wir brauchen eine objektive, kompetente Diskussion über die Koralmbahn:

 

Der enorm aufwendige viergleisige Ausbau der Westbahn ging bisher fast ohne große Diskussionen über die Bühne. Der Tunnelanteil zwischen Wien und Attnang/Puchheim liegt bereits bei 50 km.

 

Ganz anders beim Ausbau der Südbahn: Über den Semmering-Basistunnel wurde zwei Jahrzehnte gestritten. Die Koralmbahn wurde zum Synonym für Geldverschwendung. Populistische Medien sprechen überhaupt nur mehr vom Koralm-„Tunnel“, obwohl der Tunnel bloß ein 33 km langer Teil der 130 km langen Koralmbahnstrecke ist.

 

 

5) Die Errichtung der Koralmbahn ist in mehrfacher Hinsicht ein Gewinn und daher sinnvoll:

 

-          Es wird eine Direktverbindung zwischen Graz und Klagenfurt/Villach und zwischen Graz und Italien möglich (derzeit sind diese Verbindungen nur auf dem Nord-Umweg über Bruck a. d. Mur möglich).

 

-          Mit der Koralmbahn wird es möglich, die zwei Südbahn-„Äste“ („Steirer Ast“ Wien-Bruck-Graz und „Kärntner Ast“ Wien-Bruck-Klagenfurt) zu einer einzigen Südbahn („Neue Südbahn“) zu vereinen. Graz ist somit vollständig in die Südbahn integriert.

 

-          Mit der Koralmbahn gelingt eine wesentliche Fahrzeitverkürzung für den Schnellzugverkehr Wien-Klagenfurt-Villach-Italien. Die Bahn-Fahrzeiten werden somit konkurrenzfähig mit den PKW-Fahrzeiten auf der Südautobahn A 2

 

-          Mit der Koralmbahn wird ein wesentlicher Synergieeffekt im Schnellzugverkehr erzielt: Die zwei Schnellzugverkehre Wien-Graz und Wien-Klagenfurt-Villach werden zu einem einzigen Schnellzugverkehr Wien-Graz-Klagenfurt-Villach vereinigt.

 

-          Die Koralmbahn dient zugleich dem Regional- und Nahverkehr und verbessert somit die Erreichbarkeit in einer bisher weniger gut erschlossenen Region. 

 

 

6) Es gibt keine brauchbare Alternative zur Koralmbahn:

 

-          Ausbau Graz-Klagenfurt über Slowenien (Maribor und Drautal-aufwärts): Das wäre ein 200 km langer Umweg. Im mäandrierenden, engen Drautal wäre eine teure Tunnelkette nötig. Außerdem würde dieser Ausbau dem innerösterreichischen Regional- und Nahverkehr nichts bringen.

 

-          Ausbau des „Kärntner Astes“ Bruck-Leoben-Knittelfeld-Unzmarkt über den Neumarkter Sattel, Friesach und St.Veit nach Klagenfurt: Dieser Ausbau wäre nicht billig, Graz bliebe erst wieder links liegen.

 

-          Neigetechnik statt Koralmbahn: Die Fahrzeitverkürzungen, die über Slowenien oder über den Neumarkter Sattel durch die Neigetechnik erzielbar sind, reichen bei weitem nicht aus, um die Bahn an PKW-Fahrzeiten zwischen Graz und Klagenfurt heranführen zu können. Außerdem erfordert die Neigetechnik Umbauten an der Infrastruktur.

 

Mit Neigetechnik bezeichnet man Schienenfahrzeuge, die sich „in die Kurven hineinneigen“ können und daher um bis zu 25 % schneller in die Gleisbögen fahren können (Kurven heißen in der Bahn-Fachsprache „Bögen“). Die Technik des Neige-Wagenkastens ermöglicht dessen Neigung zur Bogen-Innenseite, wodurch für die Fahrgäste die höhere Fliehkraft kaum spürbar ist.

 

Voraussetzung der Neigetechnik sind Umbauten am Gleiskörper. Höhere Geschwindigkeiten in den Bögen haben natürlich auch höhere Belastungen des Oberbaus zur Folge. Außerdem ist der Geschwindigkeit-erhöhende Effekt der Neigetechnik bei engen Bögen (kleine Radien) gering. Denn auf einer Strecke, deren enge Bögen höchstens 60 km/h zulassen, macht eine Erhöhung der Geschwindigkeit um 25 % nicht viel aus, nämlich höchstens bis auf 75 km/h. Der Effekt ist noch geringer, wenn auf kurvenreichen Strecken abwechselnd Links- und Rechtsbögen eng aufeinander folgen.

 

Die Koralmbahn und die so genannten Alternativen

 

 

7) Diskussion über den Semmering-Tunnel als „Vorspiel“ zur Koralmbahn-Diskussion:

 

Der Bau des Semmering-Basistunnels wurde durch politischen Widerstand von Seiten Niederösterreichs zwei Jahrzehnte lang verhindert. Auf der Basis eines neuen Tunnel-Planes (27 km Tunnellänge) besteht nun doch die Chance einer Realisierung. Der Gefahr, dass nach Fertigstellung des Tunnels der Regelverkehr auf der bestehenden Weltkulturerbe-Strecke eingestellt wird, muss durch einen Vertrag begegnet werden.

 

7.1 Vorschläge, die als Alternative zum Semmering-Tunnel gemacht wurden.

 

Es wurde vorgeschlagen, für die Verbindung Wien-Graz eine bestehende Bahnstrecke über Westungarn auszubauen (Wien-Sopron-Szombathely-Szentgotthard-Graz), denn dort sei aus mehreren Gründen der Ausbau viel weniger problematisch als den Semmering-Tunnel zu errichten (siehe Graphik unten).

 

Ebenso gab es die Überlegung, mit einer „Südost-Spange“, einer Hochleistungsstrecke über das Burgenland und die Oststeiermark, Wien und Graz zu verbinden.

 

Ein weiterer Vorschlag lautete, für die Verbindung Wien-Graz die bestehende Aspang-Bahn auszubauen, die ab Wiener Neustadt über Aspang, den Wechsel, Friedburg, Hartberg und Fürstenfeld knapp westlich der burgenländischen Grenze verläuft. 

 

7.2 Aber: Die derzeitige Südbahn bedient wichtige Siedlungs- und Wirtschaftsräume in der Obersteiermark:

 

Die oben genannten Vorschläge berücksichtigen nicht, dass der dicht besiedelte obersteirische Siedlungs- und Wirtschaftsraum in der Mur-Mürz-Furche liegt und somit an der derzeitigen Südbahn (man könnte sie „Semmering-Südbahn“ nennen) – und nicht an den oben genannten Alternativ-Strecken.

 

Würde man statt der Semmering-Südbahn die Bahnstrecke über Westungarn oder die Aspang-Bahn ausbauen oder die Südost-Spange errichten, so würde man abseits dieses wichtigen obersteirischen Raumes investieren. Die Aspang-Bahn auszubauen wäre zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber doch nicht als Alternative zum Semmering-Tunnel und zur derzeitigen Südbahn! Dem Semmering und der Semmering-Südbahn ist Ausbau-Priorität einzuräumen!

 

7.3 Ganzheitlich-vernetzendes Denken und Planen spricht für die Semmering-Südbahn, denn ihr Ausbau ermöglicht Synergieeffekte zugunsten der Relationen Graz-Linz, Graz-Salzburg und Graz-Innsbruck

 

Es ist sehr hilfreich, den Ausbau der Südbahn einmal nicht von der Wiener Perspektive aus zu sehen, sondern aus der Sicht des Nordens und Nordwestens Österreichs.

 

Man gewinnt dabei die Erkenntnis, dass es für die Oberösterreicher, Salzburger, Tiroler und Vorarlberger nichts bringen würde, wenn man die Südbahn nicht über den Semmering ausbaut, sondern sich für eine der genannten Alternativen zum Semmering entscheidet. Die Bahnverbindungen zwischen Graz und Linz/Salzburg/Innsbruck verlaufen nämlich zwischen Graz und Bruck an der Mur auf derselben Strecke wie der „Steirer Ast“ der Semmering-Südbahn.

 

Somit bringt der mittel- oder langfristig aktuell werdende Ausbau der Semmering-Südbahn im Abschnitt Graz - Bruck a. d. Mur auch Fahrzeitverkürzungen für Graz-Linz, Graz-Salzburg und Graz-Innsbruck/Bregenz. Über die Brucker Schleife kann zwischen Leoben und Graz eine IC-Fahrzeit von 1/2 Stunde (derzeit 3/4 Std.) erzielt werden. Somit verkürzen sich die Fahrzeiten Linz-Graz, Salzburg-Graz und Innsbruck/Bregenz-Graz allein durch diese Maßnahme um je 1/4 Stunde. 

 

Diese Synergieeffekte könnten weder mit dem Ausbau der Bahnlinie über Westungarn noch mit dem Ausbau der Aspang-Bahn noch mit der Südost-Spange erreicht werden.

 


8) Brenner-Basistunnel – Koralmbahn: „Zwei verschiedene Paar Schuhe“

 

Was unterscheidet den BBT (Brenner-Basistunnel) von der Koralmbahn? Über den Brenner existiert bereits eine zweigleisige Bahnlinie, deren Kapazität ausgeweitet werden kann. Zwischen Graz und Klagenfurt gibt es hingegen überhaupt keine Bahn (wenn man von dem Umweg über Bruck absieht).

Der 55 km lange BBT ist eine Ausgeburt des EU-Wahns vom freien, billigen Material- und Warenverkehr kreuz und quer durch die ganze EU. Diese EU-Politik ist aus mehreren Gründen abzulehnen. Die Koralmbahn entspricht hingegen einer echten Notwendigkeit. Übrigens: Neben der Brennerbahn stünden auch die Tauernbahn und die Pyhrn-Schober-Achse als österreichische Bahn-Alpenquerungen zur Verfügung. Der Bahn-Güterverkehr sollte auf alle drei Alpenquerungen aufgeteilt werden!

 

Bevor mit dem Bau des BBT begonnen wird, müssten die Rahmenbedingungen stark zu Ungunsten des LKW-Verkehrs geändert werden (z. B. durch einen EU-Beschluss, dass innerhalb einer bestimmtem Zahl von Jahren die LKW-Maut auf Schweizer Niveau angehoben wird und auf Grund einer Öko-Abgabe die fossilen Treibstoffe nach einem Programm schrittweise verteuert werden), damit einerseits der Verlagerungsdruck zur Schiene steigt und andererseits der LKW-Transit zurückgeht. Dann könnte sich herausstellen, dass Ausbauten auf der bestehenden Brennerbahn ausreichen und der BBT vielleicht gar nicht mehr notwendig ist.

 

Kein Thema ist die Tatsache, dass im Tiroler Unterinntal aus Lärmschutzgründen die 40 km des dritten und vierten Gleises zu 80 % unter der Erde verlaufen. Kritiker sprechen vom „teuersten Lärmschutztunnel der Welt“. Hier zeigt sich die falsche Lärmschutzpolitik: Statt die z. T. uralten Güterzugwaggons mit lärmarmen Laufwerken auszustatten, also den Bahnlärm an den Ursachen zu bekämpfen, verschwendet man das Geld für sekundäre Lärmschutzmaßnahmen.

 

 

9) Herausforderungen für die Zukunft:

 

Der Verkehr ist das Hauptproblem beim Klimaschutz. Ein Drittel des Endenergieverbrauches verursacht der Verkehr (einschließlich Tanktourismus). Während im Jahr 1990 der Verkehr ca. 190 PJ Energie verbrauchte, setzt er heute 370 PJ um – fast nur fossile Energie.

 

Energiewende und Klimaschutz bedeuten, dass der Bahn eine Schlüsselstelle zukommt. Denn das System Bahn entspricht von allen Verkehrsträgern der Tatsache am besten, dass der Strom im Zuge des Umstiegs auf erneuerbare Energien die energetische Hauptsäule des Verkehrs werden wird und dass der Gesamtenergieeinsatz deutlich reduziert werden muss.

 

In Österreich ist auf elektrifizierten Strecken wegen des hohen Wasserkraft-Anteils bei Bahnstrom die bereits vorhandene, klimaschonende, hoch effiziente Technik für E-Mobilität.

 

Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass es zu einer massiven Verkehrsverlagerung von der Straße zur Bahn kommt bzw. dass diese Verlagerung durch ausreichende Bahn-Attraktivität und -Kapazität ermöglicht wird – auch im Korridor Wien-Graz-Klagenfurt-Villach.

 

 

 

Verfasser: Heinrich Höbarth