Radioaktivität
Unter Radioaktivität versteht man die Tatsache, dass es instabile Atome gibt, die einem oder mehreren Umwandlungsprozessen ausgesetzt sind.
Diese Umwandlung geschieht spontan, d. h. ohne äußere Einwirkung bzw. von außen nicht beeinflussbar. Die Initiative geht dabei von den Atomkernen aus.
Jede Umwandlung hat mit einem Zerfall im Atomkern zu tun („Kernzerfall“). Dabei werden energiereiche Strahlen emittiert. Einerseits können dies weggeschleuderte Teilchen sein („Teilchenstrahlen“), andererseits Quanten von energiereichen elektromagnetischen Wellen, Gamma-Strahlen genannt.
Die natürliche Radioaktivität hat zwei Ursachen: Kosmische Strahlung und Strahlung von bzw. aus der Erde, also aus den oben genannten radioaktiven Stoffen.
Künstliche Radioaktivität wird durch Atombombenexplosionen und durch Atomkraftwerke verursacht, wobei letztere schon bei Normalbetrieb radioaktive Substanzen emittieren. Vor allem droht aber Gefahr von Unfällen in Atomkraftwerken (Tschernobyl, Fukushima…) und vom radioaktiven Müll aus Atomkraftwerken.
Halbwertszeit:
Das Tempo der Kernumwandlungen in einem instabilen (= radioaktiven) Stoff nimmt mit der Zeit ab, somit auch die Intensität der radioaktiven Strahlung. Obwohl sich bei keinem einzelnen Atom vorhersagen lässt, wann in seinem Kern die Umwandlung stattfinden wird, geschehen diese Umwandlungen in der Gesamtheit der Atome eines radioaktiven Stoffes dennoch nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit, und zwar in der Weise, dass sich die Zahl der Umwandlungen innerhalb einer bestimmten Zeit halbiert. Den Zeitraum bis zur Halbierung der Strahlungsintensität nennt man Halbwertszeit.
Das Tempo der Umwandlung ist je nach Umwandlungseigenschaften der verschiedenen radioaktiven Isotope äußerst unterschiedlich. „Kurzlebige“ radioaktive Isotope wandeln sich rasch um und geben daher ihre Strahlung rasch ab, dafür in enormer Dichte und Schädlichkeit. „Langlebige“ Isotope strahlen lang bis extrem lang, dafür ist ihre Strahlung nicht so dicht und daher auch nicht so schädlich.
So vermindert sich z. B. die Strahlung des Kohlenstoff-Isotops C-14 nach 5.730 Jahren auf die Hälfte. Das heißt, bei der Hälfte der C-14-Atome hat sich die Umwandlung (der Kernzerfall) bereits vollzogen. Innerhalb der weiteren 5.730 Jahre zerfällt die Hälfte von der verbliebenen Hälfte. Somit sind nach 11.460 Jahren 3/4 der Atomkerne bereits zerfallen, 1/4 noch nicht. Die Strahlung hat sich auf 1/4 reduziert. Usw.
Arten von radioaktiven Strahlen:
1) Teilchenstrahlen:
Alpha-Strahlen (Alpha-Teilchen) sind nichts anderes als mit hoher Energie von großen Atomkernen weggeschleuderte Helium-Atomkerne (He-4, bestehend aus zwei Protonen und zwei Neutronen). Je größer die Ordnungszahl (OZ) im „oberen Drittel“ der Grundstoffe-Tabelle ist, desto höher ist die Neigung der instabilen Atomkerne zur Emission von Alpha-Strahlen. Ihre Reichweite beträgt in der Luft nur einige Zentimeter. Sie wirken daher meist nur am Ort der Entstehung. Wenn aber die strahlenden Teilchen direkt auf dem organischen Gewebe aufliegen (z. B. Uranerz-Staub in der Lunge) bzw. im Gewebe eingelagert sind, sind sie die gefährlichsten Strahlen, obwohl sie nur einige hundertstel Millimeter ins Gewebe eindringen.
Alpha-Teilchen sind die Folge des Alpha-Zerfalls. Die Emission eines Alpha-Teilchens bedeutet, dass sich mit dem Verlust von 2 Protonen die OZ (Kernladungszahl) des Atomkerns um zwei Schritte nach unten verlagert, während sich die Kernmassezahl gleich um vier Schritte vermindert. So wird z. B. aus einem Uran-Atom (OZ 92) ein Thorium-Atom (OZ 90), aus U-235 wird Th-231.
Beta-Strahlen (Beta-Teilchen) sind die Strahlen der Grundstoffe in den „unteren zwei Dritteln“ der Grundstoffe-Tabelle. Sie sind von instabilen Atomkernen weggeschleuderte, sehr schnelle Negatronen (negative Elektronen) oder Positronen (positive Elektronen). Sie reichen an der Luft einige Meter und dringen etwa acht Millimeter ins organische Gewebe ein. Auch sie sind erst im menschlichen Körper gefährlich.
a) Zerfall durch Negatronenstrahlung (Beta- -Zerfall – Beta-Minus-Zerfall):
Im instabilen Atomkern zerfällt ein Neutron in ein Proton und in ein Negatron (negatives Elektron). Das entstandene Proton im Atomkern hat zur Folge, dass die OZ (Kernladungszahl) um 1 steigt, während die Kernmassezahl gleich bleibt. So wird z. B. aus dem instabilen Atomkern vom Jod-131 (OZ 53, 53 Protonen, 78 Neutronen) ein stabiler Atomkern, nämlich der von Xenon-131 (OZ 54, 54 Protonen, 77 Neutronen). Das entstandene Negatron wird weggeschleudert.
b) Zerfall durch Positronenstrahlung (Beta+ -Zerfall – Beta-Plus-Zerfall):
Im instabilen Atomkern zerfällt ein Proton in ein Neutron und in ein Positron (positives Elektron). Die Umwandlung des Protons in ein Neutron hat zur Folge, dass die OZ (Kernladungszahl) um 1 sinkt, während die Kernmasse gleich bleibt. So wird z. B. aus dem instabilen Atomkern von Jod-124 (OZ 53, 53 Protonen, 71 Neutronen) ein stabiler Atomkern, nämlich der vonTellur-124 (OZ 52, 52 Protonen, 72 Neutronen).
Schnelle Neutronen sind wie elektromagnetische Wellen weitreichend und durchdringend und daher auch von außen wirksam. Sie gleichen in ihrer Gefährlichkeit den Gamma-Strahlen (siehe unten) und entstehen bei der Kernspaltung (Atomkraftwerke, Atombomben).
Die Neutronenbombe dient speziell dazu, Leben zu zerstören und ansonsten nur geringe mechanische Zerstörungskraft zu entwickeln, um Gebäude und Infrastruktur zu schonen.
2) Hochenergetische elektromagnetische Wellen:
Diese weitreichenden, sehr energiereichen, äußerst kurzwelligen Schwingungen werden Gamma-Strahlen genannt. Bei jedem Kernzerfall und bei jeder Kernspaltung wird in der Regel ein solcher hochfrequenter Strahlen-Quant oder mehrere Quanten emittiert. Sie sind wie Röntgenstrahlen durchdringend und können nur durch Bleiplatten oder meterdicke Betonbarrieren abgeschirmt werden.
Man kann am Spektrum eines jeden Gamma-Strahls erkennen, welchen Kernzerfall er begleitet. Dadurch ist es möglich, in einem Gemisch strahlender Nuklide von unbekannter Zusammensetzung die einzelnen Radionuklide zu identifizieren („Gamma-Spektroskopie“).
Abbildungen: Zerfallsreihen der natürlichen instabilen Nuklide Thorium-232, Uran-235 und Uran-238. Das stabile Endprodukt ist jeweils Blei, das auch heute noch aus dem Zerfall der oben genannten Nuklide entsteht. Es handelt sich sowohl um Alpha-Zerfälle als auch um Beta- -Zerfälle. Angegeben sind auch die z. T. extrem langen Halbwertszeiten.
Wirkung von radioaktiven Strahlen auf unbelebte Materie:
Erwärmung: Diese wird erst bei starker Strahlung fühlbar. Bei extrem naher, sehr starker Strahlung erhitzen sich die Materialien, beginnen zu glühen und zu schmelzen, wenn sie nicht ausreichend gekühlt werden (z. B. Brennelemente, die einige Zeit im Einsatz waren)
Ionisation: Es bilden sich aus ungeladenen Atomen oder Atomgruppen geladene (= Ionen). Daher nennt man radioaktive Strahlen auch „ionisierende Strahlen“.
Sekundäre Radioaktivität: Wenn Atomkerne getroffen werden, werden sie instabil. Das heißt, bestrahlte Materialien werden selber radioaktiv.
Materialermüdung: Durch Zerstörung der Gitterstruktur in den Metallen „ermüden“ sie, d. h. sie werden spröde, rissig, weniger belastbar. Dies ist ein großes Problem in Atomkraftwerken.
Wirkung von radioaktiven Strahlen auf Lebewesen (biologische Wirkung):
Lebewesen reagieren viel empfindlicher auf radioaktive Strahlung als unbelebte Materie. Man spürt die Strahlung nicht. Bei einer bereits tödlichen Dosis ist die Erwärmung noch so gering, dass sie kaum fühlbar ist.
Die Wirkung radioaktiver Stahlen auf lebende Zellen ist am besten einem Hagel winziger Geschosse vergleichbar.
Wenn sie lebende Zellen treffen
- lösen sie chemische Prozesse aus (Veränderung von Biomolekülen),
- stören sie den Stoffwechsel der Zellen oder
- sie verändern den Aufbau der Zellen.
Diese Veränderungen können zum Tod dieser Zellen führen. Wenn ein Zellkern getroffen wird, kann es zu einer Änderung des Erbmaterials kommen (Mutation). So kann aus einer normalen Zelle eine Krebszelle entstehen. Besonders folgeschwer kann es sein, wenn von einer Keimzelle, in deren Zellkern das Erbmaterial geschädigt wurde, Leben weitergegeben wird (Erbschäden).
Wovon hängt die Wirkung auf Lebewesen ab?
a. Von der absorbierten Dosis („Äquivalenzdosis“):
Maßeinheit: 1 Sievert (Sv) = 1.000 Milli-Sievert (mSv) |
Frühere Maßeinheit: 1 rem (roentgen equivalent man) = 1.000 mrem
1 Sievert = 100 rem
Erklärung: 1 Sievert = 1 Joule/kg Körpermasse
bei Alpha-Strahler im Körper mit 20 multiplizieren
bei schnellen Neutronen mit 10 multiplizieren
b.Von der Zeitdauer der Strahleneinwirkung: Eine in kurzer Zeit absorbierte Strahlendosis ist schädlicher, als wenn dieselbe Dosis in einem größeren Zeitraum zugeführt wird.
c. Vom Alter der bestrahlten Person: Kinder sind empfindlicher als Erwachsene. Beispiel: Jod-131 (HZ 8 Tage, Beta-Strahler) ist für die Schilddrüse eines Kleinkindes 10mal so wirksam wie für die eines Erwachsenen. Noch stärker gefährdet sind Kinder im Mutterleib.
d.Von der Empfindlichkeit der bestrahlten Körperteile.
e. Von der Größe der bestrahlten Körperfläche bzw. Körpermasse.
f. Davon, wo sich radioaktive Stoffe, die der Körper mit der Atmung und durch das Essen und Trinken aufgenommen hat, im Körper einlagern und wie lange sie im Körper verweilen („biologische Halbwertszeit“ = wie lange es dauert, bis die Hälfte der ursprünglichen Menge eines in den Körper aufgenommenen strahlenden Stoffes wieder aus dem Körper ausgeschieden wird).
Grobe Einschätzung von Strahlenschäden:
a) Spätschäden durch niedrige Dosen:
- Krebs, Leukämie.
- Missbildungen bei Schädigung von Embryonen.
- Erbschäden (genetische Schäden), wenn von einer Keimzelle, in deren Zellkern das Erbmaterial geschädigt wurde, Leben weitergegeben wird.
b) Frühschäden (Strahlenkrankheit) durch hohe Dosen bei Kurzzeiteinwirkung (einige Stunden) auf den ganzen Körper:
Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Schleimhautentzündungen, Fieber, Gelbsucht …
Verlauf: Tod nach einer bis mehreren Wochen oder Erholung von der Strahlenkrankheit, aber Spätschäden sehr wahrscheinlich.
Wirkung hoher Dosen bei kurzzeitiger radioaktiver Ganzkörperbestrahlung:
- Ab 10.000 mSv: Für fast alle tödlich.
- 3.000 bis 5.000 mSv: Die Hälfte aller Bestrahlten stirbt innerhalb von 1 bis 2 Monaten.
- bis 2.000 mSv: Schwere Blutbildveränderung, vereinzelte Todesfälle.
- 500 bis 1.000 mSv: Merkbare Blutbildveränderung.
- 200 bis 300 mSv: Kurzzeitige, nur vom Arzt feststellbare Blutbildveränderung.
20 mSv ist die zulässige Jahresdosis für Person, die beruflich in einem Strahlungsbereich tätig sind.
Wie kann sich der Mensch vor radioaktiven Strahlen schützen:
Gefahr droht
- durch radioaktive Teilchen in der Luft (Gase und mikroskopisch kleine Staubteilchen), die eingeatmet werden bzw. den Körper von außen bestrahlen;
- durch radioaktive Teilchen, die sich auf Kleidung und Haut ablagern („radioaktiver Niederschlag“);
- durch radioaktive Teilchen, die in den Körper durch Essen und Trinken aufgenommen werden.
Manche radioaltive Stoffe verlassen den Körper nach einer bestimmten Zeit mit den natürlichen Ausscheidungen wieder.
Manche werden aber von bestimmten Organen bevorzug aufgenommen:
- Jod-131 von der Schilddrüse,
- Strontium-90 vom Knochengewebe,
- Cäsium-137 sowie andere radioaktive Stoffe verteilen sich im gesamten Körper.
Der Mensch kann radioaktive Strahlen weder sehen, riechen noch fühlen.
Daher sorgt eine Reihe von Messstellen in ganz Österreich für frühzeitiges Erkennen der radioaktiven Belastung und für Information der Bevölkerung durch Sirenen-Alarm und Informationen über die Funkmedien. Der Strahlenunfall kann sich in der Nähe ereignen oder auch an einem entfernten Ort.
1) Wenn sich der Strahlenunfall in der Nähe ereignete bzw. wenn die Strahlenbelastung hoch ist:
a) Wenn man sich in der Wohnung aufhält oder in die Wohnung flüchten kann:
- Nach dem Alarm Radio/Fernseher einschalten (heimischer Sender!)!
- Fenster und Türen schließen!
- Lüftung/Klimaanlage ausschalten!
- Wenn über Radio/Fernseher dazu aufgefordert wird: Fenster/Türen, die nicht mit Dichtungen ausgestattet sind, mit Klebeband abdichten!
- Regeln für den Aufenthalt im Raum beachten:
- Keine offenen Flammen (Gefahr der Kohlenmonoxid-Vergiftung). Ein Raum, in dem ein Feuer brennt (Ofen/Herd…), ist in diesem Fall nicht als Aufenthaltsraum geeignet.
- Kleine Räume und solche, in denen sich mehrere Personen aufhalten, dürfen nur kurz abgedichtet sein, dann muss für Frischluftzufuhr gesorgt werden. Trotzdem bieten einige Stunden Aufenthalt in einem abgedichteten Raum einen gewissen Schutz.
- Nach Durchzug der radioaktiven Wolke sofort lüften (wenn die Entwarnung erfolgt ist).
b) Wenn man sich im Freien befindet:
- Über Mund und Nase ein mehrlagiges, befeuchtetes Tuch legen.
- Wenn man zu Hause ankommt:
- Oberkleider und Schuhe außerhalb der Wohnung ablegen, damit kein radioaktiver Staub in die Wohnung übertragen werden kann (besonders wichtig, wenn man in einen Regen geraten ist).
- Oberkleider in Tuch einwickeln und ab in die Waschmaschine.
- Schuhe im Freien Abwaschen.
- Hände waschen.
- Möglichst bald duschen, um unbedeckte Körperteile und Haare zu reinigen.
2) Wenn sich der Strahlenunfall in der Ferne ereignete bzw. wenn die Strahlenbelastung eher gering ist:
Es erfolgt kein Sirenen-Alarm. Aber Radio/Fernsehen informieren dennoch.
3) Kaliumjodid-Tabletten („Jodtabletten“):
Mit der Aufnahme dieser Tabletten soll verhindert werden, dass die Schilddrüse Jod einlagert, das mit der verseuchten Nahrung aufgenommen wird.
Um im Falle eines Reaktorunfalls besonders gefährdeten Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahre sowie schwangere und stillende Frauen vor radioaktivem Jod zu schützen, hat die Weltgesundheitsorganisation die Bevorratung von Kaliumjodid-Tabletten empfohlen. Für diese Risikogruppe erhält man gegen Vorweis eines Meldezettels oder des Mutter-Kind-Passes in der Apotheke kosten los eine Packung Kaliumjodid-Tabletten. Erwachsene bis zu 45 Jahren können Kaliumjodid-Tabletten kaufen. Personen ab dem 45. Lebensjahr wird wegen der Möglichkeit von starken Nebenwirkungen von der Einnahme der Kaliumjodid-Tabletten abgeraten.
4) Trinkwasservorrat ist immer ratsam:
Ein Mensch kann zwar vierzehn Tage ohne feste Nahung, aber nur zwei Tage ohne Flüssigkeit überleben.
5) Nahrung aus dem Garten gründlich abwaschen!
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F. d. I. v.: Heinrich Höbarth