28. September 2011: Ungerechtfertigte Rechnungshof-Kritik an ÖBB

 

Den Medien war zu entnehmen, dass der Rechnungshof von ÖBB und Verkehrsministerium verlangt, aus der Analyse von Nebenbahnen endlich Konsequenzen zu ziehen, also auch Streckenstilllegungen vorzunehmen und stattdessen Busse einzusetzen.

 

Dass sich der Rechnungshof mit der Situation der Nebenbahnen eingehend auseinandergesetzt hat, ist einerseits gut. Aber die Nebenbahnen nur nach derzeitigen Fahrgastzahlen, Gütertransporten und öffentlichen Kosten zu beurteilen führt verständlicherweise zu einem vernichtenden Ergebnis. Die daraus resultierenden Forderungen würde bewirken, was in Niederösterreich passiert ist: Betriebseinstellungen, Streckenstilllegungen.

 

Wir verlangen daher, dass neben der Beurteilung von Nebenbahnen nach der derzeitigen Situation bezüglich Fahrgastzahlen, Aufkommen im Güterverkehr, Energieverbrauch, CO2-Emissionen und öffentlichen Kosten auch Argumente einer ökologischen Perspektive zu berücksichtigen werden. Wenn auch viele Nebenbahnen derzeit einer ökologischen Beurteilung nicht standhalten, weil sie mit Diesel betrieben werden (z. T. mit veralteter Technik) und schlecht ausgelastet sind, so muss doch berücksichtigt werden, dass innerhalb des Verkehrssektors das System Bahn jener Verkehrsträger ist, bei dem die höchste Energie- und Emissionsoptimierung möglich ist.

 

Da wir uns von den fossilen Treibstoffen (und Brennstoffen) immer mehr verabschieden müssen und den Jahres-Energieverbrauch bis 2050 halbieren müssen (aus erneuerbaren Energiequellen ist aus heutiger Sicht nur etwa die Hälfte des derzeitigen Energieverbrauches aufbringbar), gewinnen – wie in allen Sektoren – auch im Verkehrssektor sowohl die Energieeffizienz und das Energiesparen als auch die von erneuerbaren Energiequellen gewonnene elektrische Energie an Bedeutung. So ist es verständlich und wichtig, dass viel von der E-Mobilität und vom Elektroauto die Rede ist.

 

Dabei nimmt aber kaum jemand davon Notiz, dass bei der Bahn die E-Mobilität weithin schon Realität ist und dass beim elektrisch betriebenen Schienenverkehr das größte Energieeffizienz-Potenzial des gesamten motorisierten Verkehrs auf Nutzung wartet (Einsatz leichter Triebwagen mit Energierückgewinnung…). Im Schienenverkehr ist es möglich, die elektrische Energie bei bloß geringfügigen Adaptionen direkt in Traktionsenergie umzuwandeln, während bei den übrigen Verkehrsträgern die elektrische Energie nur auf der Basis aufwendiger, verlustreicher Manipulationen zum Einsatz kommen kann (Aufladen und Entladen von Akkus / Erzeugung von Wasserstoff und Einsatz in Brennstoffzellen oder Verbindung des Wasserstoffes mit Kohlenstoff zu Solar Fouls …). Und Diesel-Bahnstrecken zu elektrifizieren ist innerhalb kurzer Zeit möglich, während die Umstellung des Straßenverkehrs auf E-Antrieb Jahrzehnte dauern wird.

 

Generell wird die Bedeutung des ÖV aus Energie-, Umweltschutz- und Klimaschutzgründen deutlich steigen, besonders aber die Bedeutung der Bahn. Neben Vermeidung von motorisiertem Verkehr ist massive Verkehrsverlagerung zum ÖV bzw. zur Schiene notwendig. Im Personenverkehr sollte das ökologisch-nachhaltige Zukunftsszenario des ÖV darin gesehen werden, die Bahn als Rückgrat des ÖV zu betrachten, Busse in der Regel als Zubringer und in dünn besiedelten Gebieten abseits von Bahnlinien Anrufsysteme als Ergänzung zu den Bus-Linienverkehren.

 

Busse sind keine adäquate Alternative zu Zügen. Aus Erfahrung weiß man, dass mit der Umstellung vom Schienenverkehr auf Busse die Hälfte der Fahrgäste zum PKW umsteigt. Außerdem sind Züge bei größeren bzw. bei stark schwankenden Fahrgastzahlen im Vorteil. Denn plötzlicher Fahrgastandrang ist für einen Zug in der Regel kein Problem, für einen Bus schon, weil es plötzlich notwendig werden könnte, dass pro Kurs mehrere Busse fahren müssen (sodass ständig Reservebusse und Bereitsafts-Chauffeure vorhanden sein müssten). Busse eignen sich am besten für gleich bleibende Fahrgastzahlen - z.B. Schichtbusse - bzw. für Fixbuchungen.

  

Züge durch Busse zu ersetzen entspricht demnach nicht dem Anliegen, immer mehr Autofahrer zum Umstieg auf den ÖV zu bewegen. Mit Bussen würde man bloß der derzeitigen Nachfrage entsprechen. Sie wären höchstens als Vorstufe für noch nicht vorhandene Schieneninfrastruktur sinnvoll (Beispiel: IC-Busse Graz-Klagenfurt als Vorstufe für die Koralmbahn).

 

Vor einiger Zeit hat der Rechnungshof kritisiert, dass die Bundesregierung bei der Nutzung von Energieeffizienz-Potenzialen säumig ist. So müsste der Rechnungshof eigentlich fordern, dass bei der elektrisch betriebenen Bahn die Chance, das Energieeffizienz-Potenzial zu realer Energieeinsparung zu führen, genutzt wird.

 

Da die elektrische Energie auf der Schiene am effektivsten umsetzbar ist und da in Österreich die elektrisch betriebene Bahn hauptsächlich mit einheimischem Wasserkraft-Strom betrieben wird, ist sie vor allem im Güterverkehr, aber bei ausreichender Auslastung mit Fahrgästen auch im Personenverkehr das energieeffizienteste, klimafreundlichste Verkehrsmittel.

 

Eine Bahnoffensive müsste deshalb eine logische Folge sein. Wo Schienen sind, soll Bahnverkehr bleiben, auch wenn er derzeit noch mit Diesel (also eher weniger energieeffizient) betrieben wird. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass selbst unter heutigen Rahmenbedingungen Nebenbahnen so attraktiviert werden können, dass die Fahrgastzahlen steigen.

 

Berücksichtigt man Argumente des Klima- und Umweltschutzes und der Energiezukunft, drängt sich die Frage in den Vordergrund, warum einerseits so viel von der großen Bedeutung der E-Mobilität und des ÖV geredet wird (vor allem in Sonntagsreden von Politikern), andererseits aber so viele Nebenbahnen schlecht ausgelastet sind und kaum Elektrifizierungen vorgesehen sind.

 

Neben der Beurteilung der Nebenbahnen nach derzeitigen Fahrgastzahlen, Gütertransporten und öffentlichen Kosten müsste der Rechnungshof auch eine andere Beurteilung vorzunehmen, nämlich eine Darstellung der Unterlassungen und Fehlentscheidungen, die zu dieser miesen Lage vieler Nebenbahnen geführt haben. Und es müsste versucht werden, die Verkehrsverlagerungs-Potenziale zu schätzen, die bei gerechten, ökologisch-lenkenden Rahmenbedingungen, bei optimalen Fahrplänen (mindestens Stundentakt) und bei professionellem Marketing zu erwarten wären – wobei zu berücksichtigen ist, dass das verbesserte Bahn-Angebot nicht sofort, sondern erst allmählich von der Bevölkerung angenommen wird.

 

Unter gerechten, ökologisch-lenkenden Rahmenbedingungen ist zu verstehen, dass die externen Kosten internalisiert werden und die Abgaben/Gebühren so gestaltet werden, dass sie einerseits verkraftbar und zumutbar sind, andererseits aber lenkenden Charakter haben.