25. Februar 2016: Lebensqualität statt BIP als Maß des Wohlstands

 

 

Karl Aiginger, Chef des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), plädiert dafür, das bisherige Maß für Wohlstand, nämlich das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP), durch eine neue Messmethode zu ersetzen. Die Lebensqualität soll zum primären Erfolgsmaß werden, aufbauend auf den Säulen Ökologie, sozialer Zusammenhalt und wirtschaftliche Dynamik. 

 

Die Stärke einer Wirtschaft wird üblicherweise am Wachstum des Bruttoinlandspro-duktes (BIP) gemessen. Nun aber liegt ein Konzept vor, das von Ökonomen in vierjähriger Arbeit für die EU erstellt wurde und einen radikalen Umbau des europäischen Wirtschaftssystems fordert. Die neue Europastrategie, die ein Netzwerk von 34 Forschungsinstituten aus 12 EU-Staaten unter der Führung des Wifo für die EU-Kommission entworfen hat, will die Art, wie die Stärke der Wirtschaft und der Wohlstand bisher gemessen wurden, ändern und die Lebensqualität zum primären Erfolgsmaß machen.

 

Das klingt vage, wäre aber wichtig, weil die Größe des BIP angesichts der sozialen Unsicherheit und der zunehmenden Umweltbelastungen nicht mehr die richtige Messgröße für den Lebensstandard der Bevölkerung ist. Derzeit steigt das BIP z. B. auch dann, wenn Zäune gebaut werden. Es steigt, wenn  Umweltschäden repariert werden müssen, weil die Umwelt vorher geschädigt wurde. Es steigt, wenn möglichst viele Autos zu Schrott gefahren werden, weil dann Reparaturen anfallen bzw. neue Autos gekauft werden.

 

„Das Konzept gewinnt an Konturen, wenn man drei Säulen der Lebensqualität definiert: wirtschaftliche Dynamik, sozialer Zusammenhalt und ökologische Nachhaltigkeit“, sagt Karl Aiginger, Leiter des Wifo. Dynamik umfasse die Einkommensentwicklung, besonders die für niedrige Einkommen, und strukturellen Wandel. Sozialer Zusam-menhalt werde an niedriger Arbeitslosigkeit, Wohnqualität, Gesundheit und Ausbildung gemessen, so Aiginger. Zur Nachhaltigkeit würden verringerte Emissionen und hohe Energieeffizienz beitragen.

 

Einer der Kernpunkte des Konzepts: Die EU müsse sich von den fossilen Energie-trägern verabschieden, wozu sich die Politiker ohnehin am Pariser Klimagipfel im Dezember verpflichtet haben. Außerdem müsste der Faktor Arbeit von Abgaben entlastet werden und die Steuerlast sich in Richtung Energie- und Ressourcen-verbrauch, Grundvermögen, spekulative Finanztransaktionen und Erbschaften verlagern.

 

Vorläufer ist das Konzept der „Beyond-GDP-Ökonomie“, das die Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission vor fast einem Jahrzehnt theoretisch entwickelt hat: https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/stiglitz_sen_fitoussi_kommission_1858.htm   

 

Alle Teilziele sind durch die „Better-Life-Indikatoren“ von OECD, EU und Statistik Austria quantifizierbar.

 

„Europa hat nach diesem Konzept einen viel geringeren Rückstand gegenüber den USA als nach der BIP-Methode, weil es bei vielen sozialen und ökologischen Indikatoren voran liegt“, stellt Aiginger fest. Die Strategie des Forschungsteams WWWforEurope schlage vor, dass sich Europa vornimmt, die erste große Region zu werden, die ihre Leistung an der Lebensqualität misst und versucht, dabei die globale Nummer eins zu werden.

 

Lebensqualität als Erfolgsmaß bedeute nicht, dass Wachstum unwichtig werde, aber es werde ein Instrument zur Steigerung der Beschäftigung. Es sei eine Quelle sozialer und ökologischer Innovationen und nicht Selbstzweck. „Für die Umstellung bedarf es einer europäischen Initiative. Ökonomen müssen helfen, Indikatoren, die man zur Messung von Lebensqualität braucht, rasch zur Verfügung zu stellen“, fordert der Wifo-Chef.

 

Heute wird die neue Europa-Strategie WWWforEurope dem EU-Parlament und der EU-Kommission präsentiert.