22. Dezember 2016: Warum das Abkommen CETA zumindest neu verhandelt gehört

 

von Dr. DI Heinrich Wohlmeyer

  

Insider wissen, dass das CETA, das „Umfassende Ökonomische und Handelsabkommen“ (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit Kanada der Schuhlöffel für das TTIP, die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership) mit den USA ist. Das CETA ist die inoffizielle Blaupause für das TTIP. Wenn dieses abgeschlossen wird, kann man argumentieren, dass man doch den USA das nicht verweigern könne, was man Kanada zugestanden hat. Außerdem können US-Firmen über kanadische Töchter ihre Interessen verwirklichen.

 

Wie schon der Titel sagt, sind die Schwerpunkte des Abkommens „umfassend“ bis hin zur gegenwärtigen Finanzordnung, die die „Radnabe“ der derzeitigen nicht zukunftsfähigen weltpolitischen Entwicklung ist. Nach Meinung des mir persönlich bekannten US-amerikanischen Völkerrechtlers Alfred de Zayas verstoßen die Freihandelsabkommen wie TPP, TTIP, TiSA und so auch CETA gegen das Völkerrecht. Es seien keine Freihandelsverträge, sondern „politische Verträge, die unser demokratisches System abschaffen sollen“. Über die sogenannte „Regulative Zusammenarbeit“ können geplante Rechtssetzungen von vornherein unterbunden werden. Dies bedeutet, dass die gegenwärtigen nicht zukunftsfähigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zugunsten jener, die derzeit von diesen profitieren, eingefroren werden.

 

Das CETA-Abkommen umfasst 1.598 (mit diversen Anhängen 2.286) Seiten mit einer Unmenge von Regeln und Ausnahmen (Reservations) auf beiden Seiten. Letztere umfassen bei Österreich 11 Seiten (Seiten 989-1.000) (bis hin zu den Schischulen). Dies bedeutet aber, dass alles, was in den „Reservations“ nicht genannt wird, den zwingenden Bestimmungen des Abkommens unterworfen ist. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der auch Bundeskanzler Kern berät, hat zu den „umfassenden“ (1) Abkommen gemeint, dass sie mit ihrer Vielzahl von Bestimmungen und den hinter ihnen stehenden unterschiedlichen Interessen und Rechtskulturen zu mehr Rechtsunsicherheit und damit zu kostspieligen Rechtsstreitigkeiten (Geschäft für die internationalen Anwaltskanzleien) führen werden. Rechtsregeln sollen einfach, leicht erkennbar und einhaltbar sein. Hierzu kommt noch die demaskierende Aussage der US-Botschafterin in Wien, Alexa Wesner, bezüglich des Folgeabkommens TTIP. Dass dieses die notwendige ökonomische Flankierung der NATO sei.

 

Die EU-Kommission versucht im Wege der „vorläufigen Anwendbarkeit“ vollendete Tatsachen zu schaffen. Dies bedeutet, dass die europäische Rechtskultur auf den Kopf gestellt wird. Die Exekutive hebelt dadurch nämlich die Parlamente und damit die Staatsbürger aus.

 

Während die Gewerkschaften und die NGOs bei ihrer Ablehnung von CETA bleiben, haben sich die Parteien in Deutschland und Österreich auf Grund des Druckes der Großindustrie und der Finanzwirtschaft zu einem das Gesicht wahrenden „Kompromiss’“ durchgerungen: Die internationalen Schiedsgerichte dürfen nicht zur Anwendung kommen, und ein jederzeitger Austritt müsse möglich sein.

 

Das deutsche Bundesverfassungsgericht ist dieser Linie de facto gefolgt und hat eine rückspielende Entscheidung getroffen. Man wies zwar die Eilanträge gegen CETA zurück, behält sich aber die weitere Überprüfung vor. Dies bedeutet nicht nur Rechtunsicherheit, sondern auch ein das Vertrauen der Bürger erschütterndes Durchwinden der Regierung/en und der Justiz. Da die Versprechungen bezüglich eines Mehr an Arbeitsplätzen und Wohlstand kaum eintreffen werden, droht diese Vorgangsweise zu erhöhten sozialen Spannungen und politischer Destabilisierung zu führen.

 

 

Dr. DI Heinrich Wohlmeyer ist Honorarprofessor für Ressourcenökonomie und Umweltmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien

 

 

(1) Ich habe daher in meinem Buch „Empörung in Europa – Wege aus der Krise“, 2. Auflage, IBERA-Verlag 2014, vor der „tödlichen Umarmung“ gewarnt und darauf hingewiesen, dass die in der WTO (Welthandelsorganisation) ausgehandelten multilateralen Spielregeln für einen wohlstandsmehrenden, vielfältigen Welthandel vollkommen genügen. Sich einem Partner auszuliefern ist weder handelspolitisch noch geopolitisch klug.