8. Dezember 2020: Meinl-Reisinger wurde missverstanden

 

Vehement wehrte sich die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger gegen die vor allem von der türkisen Ministerin Elisabeth Köstinger und deren grüner Öko-Ressortkollegin Eleonore Gewessler vorgebrachten Vorwürfe, sie habe Atomenergie befürwortet. Vielmehr habe sie sich deshalb zum deutschen Atomausstieg kritisch geäußert, weil dieser zu schnell erfolgt sei und es dadurch zu einer Flucht in fossile Brennstoffe kommen könne.

 

Nun – wie soll man zu Atomkraftwerken stehen? Die Errichtung von Atomkraftwerken bejahen? Oder solche Werke ablehnen? Studien belegen, dass bei jüngeren Menschen die Ablehnung von Atomkraftwerken viel geringer ist als bei älteren. Der Super-GAU in Tschernobyl passierte eben schon 1986 - und der in Fukushima 2011.  

 

Beate Meinl-Reisinger betont, sie sei in dem „Trend“-Interview, in dem auch Hannes Androsch, der ehemalige Finanzminister unter Bruno Kreisky, zu Wort gekommen sei, missverstanden worden. Sie sei für Nachhaltigkeit in allen Belangen, also eindeutig gegen Atomenergie. „Atomkraft ist für uns keine Lösung“, bekräftigt sie. „Ein Ausstieg gehört aber geplant. Wir in Österreich sind dabei in der glücklichen Lage, von jeher auf erneuerbare Energie gesetzt zu haben.“

 

In dem „Trend“-Interview, in dem Meinl-Reisinger missverstanden wurde, deklarierte sich  Hannes Androsch als Befürworter von Atomkraftwerken. Laut Androsch „steht die Schweiz (mit ihren fünf Atomkraftwerken, Anm.) viel besser da“ als Österreich.

 

Es ist schade, dass Androsch nach Tschernobyl und Fukushima nichts dazugelernt hat und  trotz dieser beiden Super-GAUs der Meinung ist, Atomkraftwerke hätten eine Zukunft.

 

Androsch ist aber sicher kein Befürworter von Atombomben. Die beiden Bomben, die vor 75 Jahren von den USA über den japanischen Großstädten Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden (zuerst Uran-Bombe „Little Boy“, wenig später Plutonium-Bombe „Fat Man“), waren hoffentlich für die ganze Welt eine ernste Warnung. Bis heute leiden Menschen in Japan unter den Folgen. Es werden zwar Atombomben gebaut, aber vor ihrem Einsatz schreckt man doch - hoffentlich - zurück. 

 

Anders ist es bei der „friedlichen Nutzung“ der Atomenergie, also bezüglich Errichtung und Betrieb von Atomkraftwerken. Die Befürworter solcher Werke wissen zwar um die Gefährlichkeit, betonen aber, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Atomkraftwerks-Katastrophe sehr gering sei. Die Gegner aber meinen, dass ein Risiko mit so hohem Gefahrenpotenzial auf jeden Fall abzulehnen sei. Außerdem verweisen die Gegner auf Quellen, aus denen hervorgehe, dass die Berechnungen zur Eintrittswahrscheinlichkeit anzuzweifeln seien.

 

Zu bedenken ist, dass Atomkraftwerke nicht nur selber eine riskante Technik sind, sondern dass auch das gesamte Drumherum in die Risikoberechnungen mit einzubeziehen ist: Uranstaub in Uranbergwerken, Plutonium, Schnelle Brüter, Abfalllagerung, Wiederaufbereitung, Spätfolgen von schweren Störfällen, radioaktiver Fallout usw. Das Abfallproblem ist nicht gelöst und wohl auch kaum lösbar. Atommüll ist der gefährlichste Müll. Außerdem wächst mit zunehmender Zahl von Anlagen das Gefahrenpotenzial.

 

Es gilt als erwiesen, dass bei Mäßigung und bei großen technischen Anstren-gungen nicht nur Atomkraftwerke überflüssig sind, sondern auch auf die

fossilen Energieträger verzichtet werden kann. Bei beiden muss auf ein Ende hingearbeitet werden, sowohl beim Ausstieg aus der Atomenergie als auch

beim Verzicht auf fossile Energieträger (Klimaschutz !!!). Allein auf der Basis erneuerbarer Energiequellen muss die Energiezukunft aufgebaut werden. Hier

ist noch viel Wachstum möglich, aber auch dieses hat Grenzen.

 

Es geht darum, immer mehr Menschen dazu zu bringen, endlich zu erkennen, dass auf einer begrenzten Erde unbegrenztes Wachstum (Bevölkerungswachstum, Energie- und Verkehrswachstum, ständig steigender Ressourcenverbrauch usw.) nicht möglich ist.

 

Vorrangig trifft diese Forderung die Menschen der hochentwickelten Industrieländer. Sie müssen bereit sein, „Die Grenzen des Wachstums“ (Buch von Dennis Meadows et al., Bericht des Club of Rome, 1973) zu akzeptieren und den ärmeren Ländern bzw. den ärmeren Bevölkerungsschichten reicher Länder ein Aufholen zu ermöglichen.  

 

Sowohl bei großtechnisch-riskanten Anlagen als auch im „kleintechnischen Alltag“ brauchen wir ein Umdenken. Bei der Atomenergie ist es besser, von vornherein auf dieses Risiko zu verzichten. Mit ihrer Entscheidung, aus der Atomenergie auszusteigen, geht Angela Merkel  mit gutem Beispiel voran. Hoffentlich bleibt sie auch beim Ausstieg aus den fossilen Energieträgern so konsequent.

 

Weltweit droht aber - eher wenig beachtet - eine neue Gefahr: der unscheinbare, kleintechnische Siegeszug der Digitalisierung. Experten haben den weltweiten Anteil der Digitalisierung am Gesamtenergieverbrauch im Jahr 2018 mit acht Prozent berechnet. Sie vermuten, dass sich dieser Wert bis 2030 auf 40 Prozent erhöhen könnte. Sollen nun Atomkraftwerke dazu dienen, den „Fortschritt“ bei der Digitalisierung zu ermöglichen?

 

Gehört nicht Österreich zu jenen Heuchlern, die stets damit prahlen, kein Atomkraftwerk zu betreiben? In Wahrheit importiert Österreich schon mehr Strom als es exportiert. Das heißt, auch Kohle- und Atomstrom fließt nach Österreich.

 

Wenn unser Energieverbrauch weiterhin wächst, statt abzunehmen (oder wenigstens stabil zu bleiben), werden wir Atomenergie brauchen bzw. akzeptieren müssen.