24. September 2021: Die Atomlobby gibt nicht auf

 

Anfang Juli war es ein Brief, mit dem Klimaministerin Leonore Gewessler, zusammen mit fünf Ministerkollegen, in Brüssel Front gegen Atomkraftwerke machte. Jetzt ist es ein Rechtsgutachten, das das Klimaministerium bei der deutschen Kanzlei Redeker Sellner Dahs in Auftrag gegeben hat und zum Schluss kommt, dass Atomkraft in der EU nicht als grün oder nachhaltig eingestuft werden kann, auch wenn es eine CO2-arme Technologie ist.

 

Hintergrund der Anstrengungen Gewesslers ist das Tauziehen in Brüssel um EU Regeln für nachhaltige Investments. Seit Monaten läuft im Hintergrund ein Kampf zwischen mächtigen Befürwortern von Kernenergie - allen voran Frankreich - und Gegnern um Österreich und Deutschland. Die EU-Kommission wollte bereits im Sommer die fehlenden Details zur im Juni 2020 beschlossenen sogenannten Taxonomie-Verordnung vorlegen. Jetzt ist die Rede vom Herbst.

 

Die EU-Taxonomie soll einheitliche und nachprüfbare Kriterien schaffen, was im Wirtschaftsleben als ökologische Aktivität eingestuft wird. Die Bestimmungen sind das entscheidende Instrument zur Finanzierung des Green Deals, des Plans der EU-Staaten, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Denn mit der klaren Etikettierung soll es gelingen, private Gelder stärker in Richtung nachhaltige Wirtschaft umzulenken und zugleich Greenwashing zu vermeiden.

 

Das Rechtsgutachten, das auf der Homepage des Klimaministeriums abrufbar ist, stellt fest, dass die Erzeugung von Atomstrom nicht unter eine der drei Kategorien von Tätigkeiten falle, für die in der Taxonomie-Verordnung ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz angenommen wird. Damit ist es ohne Relevanz, dass die Erzeugung von Atomstrom häufig als CO2-arme Tätigkeit angesehen wird, schlussfolgern die Rechtsexperten. Das alleine genüge nicht. Zudem widerspreche Kernkraft der Vorgebe, wesentliche Beeinträchtigungen der Umweltziele zu vermeiden.

 

Gewessler zieht weitere Schlüsse. In dem Gutachten, das auch an die EU-Kommission geschickt wurde, werde klargestellt, dass die Atomenergie nicht den Anforderungen an eine nachhaltige Investition entspricht . Kernenergie in eine Verordnung aufzunehmen wäre daher  rechtlich nicht gedeckt . In letzter Konsequenz bin ich auch bereit, eine Klage einzubringen , betonte sie in einem Statement. Es könne nicht sein,  dass die Zukunft unserer Kinder den Interessen der Atomlobby geopfert wird. Bis zu einer möglichen Klage ist es noch ein weiter Weg. In Brüssel tobt noch eine Schlacht der Gutachten und Experten. Zunächst muss die EU-Kommission entscheiden, ob sie Atomkraft tatsachlich als nachhaltig definiert - was nach Einschätzung deutscher Medien wahrscheinlich ist. Osterreich könnte dann binnen vier Monaten im EU-Rat Einspruch einlegen. Oder es könnten Abgeordnete im EU-Parlament mit entsprechenden Mehrheiten den Beschluss der EU-Kommission aufheben.

 

OVP-Delegationsleiter und Parlamentsvizepräsident Othmar Karas ist mit Gewessler auf einer Linie: Das Rechtsgutachten „entspricht meiner politischen Auffassung der Taxonomie- Verordnung, wie sie Europaparlament und Mitgliedsstaaten beschlossen haben: Atomkraft ist keine nachhaltige Energie“, ließ er am Donnerstag wissen.

 

Im Sommer hat die Brüsseler Behörde zwei sogenannte delegierte Rechtsakte für die Grün- Klassifizierung vorgelegt. Beide sind noch in der viermonatigen Prüfphase. Die zähe Umsetzung des EU-Aktionsplans für nachhaltige Finanzierungen hat dieser Tage auch der EU-Rechnungshof kritisiert. Die zunehmend beliebten grünen Fonds sind derzeit in Deutschland in Misskredit geraten, nachdem unter anderem die DWS, die Fondstochter der Deutschen Bank, hier mehr versprochen als gehalten hat.         

 

 

Quelle: Tageszeitung "Salzburger Nachrichten" vom 24. September