21. Oktober 2020: Die Interessen der Agrarlobby haben sich durchgesetzt

 

 

 

Die Vorschläge des EU-Parlaments bezüglich Agrarreform sind wenig ambitioniert. Noch mehr auf der Bremse steht die Mehrzahl der 27 Agrarminister und deren Staaten. Bis 20. Oktober wollte man sich auf einen gemeinsamen Vorschlag für die Neuordnung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) von 2021 bis 2027 einigen. Es geht um 31 Prozent des gesamten EU-Budgets, also um den größten EU-Ausgabenposten, und zwar um Förderungen in der Höhe von 387 Milliarden Euro an die zehn Millionen europäischen Bauern.

 

Bei den Förderungen gibt es zwei Säulen:

 

- Die erste Säule der Förderarchitektur sind die Direktzahlungen. Sie machen den Löwenanteil aus.

 

- Die zweite, kleinere Säule dient der Förderung für die ländliche Entwicklung: Biolandbau, Bergbauerngebiete, nachhaltiger Tourismus, ländliche Entwicklung. 

 

Bei den Förderungen bestimmen drei Akteure:

a)      Die EU-Kommission

b)      Das EU-Parlament 

c)      Der EU-Rat, vor allem die Agrarminister der EU-Staaten. Vorsitzland ist derzeit  Deutschland mit Agrarministerin Julia Klöckner 

 

Der Vorschlag der EU-Kommission stammt bereits aus 2018. Bis sich Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten einigen, wird es wohl 2023 werden. Bis dahin bleibt für Europas Landwirtschaft alles beim Alten.

 

Derzeitige Situation: 80 Prozent der Förderungen gehen nur an 20 Prozent der Betriebe. Das zeigt: Gefördert wird hauptsächlich die schiere Größe von Ackerfläche und Viehbestand. Die Förderungen sind an keine Bedingungen geknüpft. 2/3 der Förderungen werden ausschließlich nach der Betriebsfläche ausbezahlt.   

  

Das wollte man mit der neuen Agrarpolitik („Green Deal“) ändern. Heilige Schwüre wurden abgelegt auf den Klima- und Umweltschutz. Die EU-Staaten gelobten mit Ausnahme Polens, bis 2050 klimaneutral zu sein (Österreich will das Ziel sogar schon 2040 erreicht haben). Ohne Mithilfe des Agrarsektors ist das aber nicht möglich. Daher hat die EU-Kommission eine Strategien vorgelegt, die unter anderem abzielt auf eine Halbierung des Pestizideinsatzes, regionale Lieferketten und weniger Antibiotika im Stall.

 

Das Ergebnis ist allerdings ernüchternd. Nichts davon findet sich in der Agrarreform. Das heißt, dass sich z. B. bei der Massenproduktion, bei der Artenvernichtung und beim Treibhausgasausstoß (die Landwirtschaft ist für elf Prozent der CO2-Emissionen in der EU verantwortlich) nicht viel ändern wird. Die Interessen der Agrarindustrie haben sich durchgesetzt.

 

Es geht um den größten Förderkuchen im EU-Budget. Entsprechend hoch sind die Begehrlichkeiten. Vor allem die Länder Osteuropas mit großen Flächen und Massentierhaltung leisteten Widerstand gegen das Vorhaben, erstmals die Direktzahlungen an Umweltauflagen (Eco Schemes) zu knüpfen.  

 

Die deutsche Agrarministerin Julia Klöckner, die derzeit den Vorsitz im Rat der 27 Agrarminister führt, hatte die Aufgabe, einen Kompromiss über ebenjene Bedingungen für die Vergabe der 387 Fördermilliarden zu finden, die für die nächsten sieben Jahre für Europas Bauern vorgesehen sind. Klöckner war mit dem Vorschlag gestartet, wonach 20 Prozent der Direktförderungen künftig zwingend an Öko-Kriterien geknüpft sein sollten. Polen und Umgarn lehnten dies aber ab. Manche Länder wollten überhaupt nur einen freiwilligen Beitrag leisten.

 

Auch im EU-Parlament ist die Reform der Agrarpolitik die ganze Woche über heißes Thema. Der Parlaments-Vorschlag ist ambitionierter als das, was im Rat der Agrarminister diskutiert wurde. Das EU-Parlament sieht unter anderem eine verpflichtende Förderquote von 30 Prozent nach Öko-Standards bei Direktförderungen sowie eine Obergrenze von 100.000 Euro pro Betrieb vor.

 

Den Grünen und Umweltorganisationen ist das nicht ehrgeizig genug. Die EU-Parlamentarier Günther Sidl (SPÖ) und Thomas Waitz (Grüne) kritisieren, dass sich keine der großen EU-Strategien gegen den Klimawandel hin zum großem Ziel einer klimaneutralen EU 2050 in der  Agrarreform wieder finde. Weder ist der Grüne Deal berücksichtigt noch die Biodiversitätsstrategie.

 

Österreichs Agrarministerin Elisabeth Köstinger ist es gelungen, im Vorfeld der Verhandlungen eine Allianz der acht kleinen Agrarländer zu bilden. Man legte Wert darauf, dass es eine Anrechenbarkeit von schon bestehenden Umweltprogrammen gibt. Umweltmaßnahmen aus der zweiten Säule sollten für die erste angerechnet werden können. Diese Anrechenbarkeit zwischen den zwei Säulen war Ministerin Köstinger sehr wichtig, weil in der zweiten Säule, die dem ländlichen Raum gewidmet ist, Österreich seit jeher den Großteil seiner Agrarförderungen abgewickelt hat.

 

Das heißt, Länder wie Österreich, die schon bisher auf Umweltschutz setzten, sollten künftig keine Gelder verlieren. An Stelle der befürchteten Einbußen von mehreren Millionen Euro bekommt Österreich nun 35 Millionen Euro mehr. Köstinger kündigte an, den Biolandbau weiter ausbauen zu wollen. Ein Kompromiss sieht vor, dass es für die Einübung der Öko-Regelungen eine zweijährige Lernphase gibt. Die wechselseitige Förderanerkennung veranlasste die großen Agrarnationen, eine verpflichtenden Öko-Quote bei den Direktzahlungen zu akzeptieren.

 

Für verpflichtende Förder-Obergrenzen konnten sich die 27 Länder nicht einigen. Manche bewirtschaften nämlich über 100 ha, andere nur drei (In Österreich liegt der Durchschnitt bei 23 ha). Die verpflichtende Obergrenze wäre wegen der Wettbewerbsfähigkeit wichtig gewesen. So aber kommt statt der Verpflichtung ein freiwilliger Förderdeckel, pro Betrieb zwischen 60.000 und 100.000 Euro einzuziehen. Österreich wird das nicht tun, denn es gibt bei uns nur 16 100.000-Euro-Betriebe, bei 60.000 Euro nur 260 Betriebe.  

 

 

Kritik kommt vor allem vom EU-Parlamentarier Thomas Waitz:

 

Waitz ist nicht einverstanden damit, dass in der EU ein Systemwandel bejubelt wird, der nicht zu erkennen ist. Für ihn ist die Agrarreform eher ein Ausdruck des Versagens. Er kritisiert, dass die Agrarminister etwas vorlegen, was eigentlich einem Zurückfallen gleichkomme.

 

Er spricht sich dafür aus, dass alle Förderungen an klimafreundliche Landwirtschaft gebunden sein sollen. Nicht 30 Prozent der Förderungen (nach dem Willen des EU-Parlaments) und auch nicht 20 Prozent (nach Vorstellung der Agrarminister), sondern 100 Prozent sollten zur Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrise aufgewendet werden.

 

Der Green Deal, der von der EU-Kommission angesagt wurde, den sieht er in dieser Agrarpolitik nicht. Waitz würde sogar Direktzahlungen an Bauern streichen, wenn sie sich nicht an die Ökologisierung halten.

 

Es sei schwer zu verstehen, wieso zwei Drittel der Gelder ausschließlich nach Fläche ausbezahlt werden sollen. Waitz fehlen die innovativen Maßnahmen zur Verringerung

- des Kunstdüngereinsatzes um 50 Prozent,

- des Einsatzes von Pestiziden um 50 Prozent und

- der Verwendung von Antibiotika in der Massentierhaltung um 50 Prozent.

 

Er kritisiert jene europäischen Agrarbetriebe, die in großem Stil produzieren (Agrarindustrie) und verurteilt die Agrarimporte aus Übersee zu ruinösen Dumpingpreisen, die viele kleine Bauern zum Aufgeben zwingen. Er vermisst den Willen, die Chance zu nutzen, die Böden richtig zu bewirtschaften und damit der Klima- und Biodiversitätskrise entschlossen entgegenzutreten.

 

Nach Waitz’ Vorstellung sollte die Landwirtschaft ein wichtiger Teil bei der Lösung dieser Probleme sein:

- Durch Minimierung der Kunstdünger-Produktion sollten die Lachgas-Emissionen reduziert werden (1 kg Kunstdünger verbraucht bei der Herstellung 2 kg Erdgas und verursacht Lachgas bei der Ausbringung, das 200-mal so klimaschädlich ist wie CO2).

- Durch richtige Bewirtschaftung der Böden sollte CO2 in den Böden gebunden werden.

 

Waitz lobt zwar Österreich, das im europäischen Vergleich bezüglich Ökologie fortschrittlicher sei, kreidet aber an, dass hier nach wie vor Mais in Hanglagen angebaut werde, was zu massiver Bodenerosion führe. Auch mit den Nitratwerten, die im Grundwasser Österreichs zu hoch seien, ist er nicht einverstanden.

 

 

Quellen:

 

Vier Artikel in den „Salzburger Nachrichten"

- vom 20. Oktober: „Mehr Grün ins Agrarsystem“, Artikel von Sylvia Wörgetter;

- vom 21. Oktober: „Zähes Ringen um Öko-Standards“;

- vom 22. Oktober: „Die Agrarreform zeigt: Phrasen sind einfacher als Taten“, Artikel von Sylvia Wörgetter;

- vom 24. Oktober: „Agrarlobby gewinnt“, Klimablog von Martin Stricker.     

 

Ö1-Radiosendung „Mittagsjournal“ vom 21. Oktober; und in dieser Sendung Gespräch mit Thomas Waitz, Grünabgeordneter im EU-Parlament.