11. März 2021: Vor 10 Jahren passierte die Katastrophe von Fukushima
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hatte zur Folge, dass sich damals die Physikprofessorin Angela Merkel zum deutschen Atomausstieg bis Ende 2022 entschloss. „Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, sagte die Kanzlerin. Aber trotz aller Sympathie für diese Entscheidung in der Bevölkerung war diese auch umstritten.
Umstritten deshalb, weil nur Monate zuvor die deutsche Regierung den Betreibern der Atomkraftwerke eine Laufzeitverlängerung zugesichert hatte. Außerdem folgten nur wenige europäische Staaten der deutschen Kanzlerin:
- Italien verzichtete auf den Wiedereinstieg in die Atomkraft.
- Belgien und die Schweiz verzichtete auf den Bau neuer Kraftwerke (die alten hängen aber bis zum Ende ihrer Laufzeit am Netz).
- Grundsätzlich blieben die Lager der Atomgegner und der Befürworter in der EU wie zuvor erhalten.
Auf der einen Seite gab es also den Vorstoß Merkels, auf der anderen Seite pochten die Betreiber der Kraftwerke auf die Zusicherung der Laufzeitver-längerung.
Was folgte, war ein langer Rechtsstreit. Erst vergangene Woche wurde er beigelegt. Das Ergebnis: 2,43 Milliarden Euro Entschädigung für die Unternehmen RWE, Vattenfall, EnBW und Eon/Preussen Elektra.
Knapp ein Viertel der weltweiten Atomkraftwerke steht in der EU. 2019 kamen laut EU-Statistikbehörde Eurostat 26,4 Prozent des Stroms aus Atomkraft, und in 13 der 27 EU-Länder gibt es Atomkraftwerke.
Spitzenreiter ist Frankreich, wo derzeit 56 Atomreaktoren am Netz sind und für 70 Prozent der Stromproduktion sorgen. Über den Bau von weiteren Atomkraftwerken soll in Frankreich erst nach der Präsidentschaftswahl 2022 entschieden werden. Zur Kontroverse trägt bei, dass der zum Großteil im französischen Staatsbesitz befindliche Stromerzeuger EDF schon jetzt auf einem riesigen Schuldenberg sitzt – und dieser wegen der Instandhaltung mehrerer maroder Atomkraftwerke und der Beteiligung am britischen Atomkraftwerk Hinkley Point auch ohne neue Projekte weiter wächst.
Weltweit gibt es derzeit 408 Reaktoren, die ans Stromnetz angeschlossen sind. Sie stehen in 31 Ländern der Welt, wie aus dem World Nuclear Industriy Status Report 2020 (WNIS) hervorgeht, der jährlich von dem deutschen Energie- und Atompolitikberater Mycle Schneider herausgegeben wird. Den höchsten Stand an Reaktoren gab es laut dem Bericht 2002, damals waren es 439 Reaktoren.
2019 wurden fünf Reaktoren geschlossen, in der ersten Jahreshälfte 2020 waren es drei weitere. 2019 gingen aber auch 13 neue Reaktoren ans Netz, drei davon in Russland, einer in China und einer in Südkorea.
Momentan befinden sich mehrere weitere Atomkraftwerke im Bau (mitunter seit vielen Jahren). Diese liegen in 17 verschiedenen Ländern. Insgesamt geht es um 52 Reaktoren.
15 in China
7 in Indien
4 in Südkorea
4 in den Vereinigten Arabischen Emiraten
3 in Russland
Gebaut wird auch in Bangladesch, Weißrussland, Pakistan, der Slowakei (allerdings schon seit 1985), in der Türkei, in Großbritannien, den USA, in Argentinien, Finnland, Frankreich, dem Iran (schon seit 1976) und in Japan.
Einsteiger in die Atomkraft sind von diesen Ländern die Türkei, Bangladesch, Weißrussland und die Vereinigten Arabischen Emirate, wo bereits ein Reaktor ans Netz ging. Über die laufenden Projekte hinaus gibt es vor allem in China Pläne: 20 neue Reaktoren sollen binnen 15 Jahren ans Netz gehen, wurde soeben beim Volkskongress beschlossen.
Die derzeit laufenden Bauprojekte für Reaktoren bedeuten aber längst noch keine Renaissance der Atomkraft. Mycle Schneider rechnet in seinem Bericht vor: Wenn alle derzeit aktiven Atomkraftwerke bis zum Ende ihrer Laufzeit in Betrieb blieben und gleichzeitig alle im Bau befindlichen wie geplant fertig gestellt würden, produzierten diese Kraftwerke trotzdem schon Ende 2030 weniger Energie als derzeit. Allein um den Status quo aufrechtzuerhalten, müssten weitere 135 Reaktoren ans Netz gehen.
Der Status quo ist folgender: Derzeit hält die Atomenergie im weltweiten Energiemix einen Anteil von rund zehn Prozent, und dieser stagniert seit Jahren. Dass er in absehbarer Zeit drastisch steigen wird, ist unrealistisch. Das zeigt nicht nur das Szenario von Schneider, sondern auch ein Blick auf die Investitionen im Energiesektor. Die gehen derzeit vor allem in erneuerbare Energien, wohin zehn Mal mehr Geld fließt als in Nuklearenergie.
Dass es an privaten Investoren in der Atomkraft mangelt, liegt auch daran, dass die Projekte lange nicht lukrativ sind. Die Baukosten sind immens, weshalb die Errichtung in der Regel staatlich subventioniert ist. Auch die Erhaltung ist teuer – in einem Atomkraftwerk müssen beispielsweise rund um die Uhr dutzende spezialisierte Mitarbeiter anwesend sein, was hohe Personalkosten verursacht.
Trotzdem setzen auch Länder wie die USA weiter auf Atomkraft. Präsident Joe Biden erwähnte sie sogar in seinem Wahlprogramm zum Klimawandel: Man müsse alle Technologien mit niedrigen oder keinen Emissionen bedenken, heißt es dort. Die Hoffnung liegt vor allem auf „kleinen modularen Kraftwerken“ (SMR). Deren Erforschung unterstützt die Biden-Administration. Unter anderem wird das Unternehmen TerraPower mitfinanziert, dessen Hauptinvestor Bill Gates ist.
Die Minikraftwerke sollen günstiger und schneller baubar sein und weniger Risiko bergen. Allerdings heißt es im World Nuclear Indutry Status Report, der mehrere SMS-Projekte seit Jahren verfolgt, gebe es zur Zeit keine Anzeichen für einen technologischen Durchbruch.
Quelle: Weitgehend wortwörtlich übernommen von den "Salzburger Nachrichten"
Daten und Fakten: Am 11. März 2011 ereignete sich rund 130 Kilometer vor der Küste Japans ein schweres Seebeben, das einen Tsunami auslöste. Die Flutwellen, das zeigten die Spuren an Gebäuden, erreichten das Land mit einer Höhe von mehr als 16 Metern. 5899 Menschen wurden durch den Tsunami getötet, 2527 blieben vermisst.
Das am Meer gelegene Atomkraftwerk Fukushima Daiichi wurde von einer fast 15 Meter hohen Wasserwand getroffen. Die Anlagen wurden überschwemmt, wodurch die Kühlung ausfiel. In drei der sechs Reaktoren kam es daraufhin zu einer Kernschmelze. Der Rückbau des Kraftwerks geht noch immer langsam voran und soll noch Jahrzehnte dauern.
Nach zehn Jahren intensiver Arbeiten zur Dekontaminierung sind noch 2,4 Prozent des Bezirks Fukushima Sperrzone. Laut UNO-Experten hat die Katastrophe zumindest in der Bevölkerung zu keinen statistisch nachweisbaren Schäden durch Verstrahlung geführt. Das ergab eine Studie des UNO-Strahlenschutzkomitees, die diese Woche veröffentlicht wurde.
Quelle: "Salzburger Nachrichten"